Jo Beyer – Live in Bangalore

Ein mitreißendes Live-Dokument. Die Band des Schlagzeugers und Komponisten aus Köln in einem angesagten Jazz-Venue im Süden Indiens. Jo Beyers originelle, über alle Grenzen gehende Musik sorgt für Begeisterung.

Bangalore – quirlig-hektische Multimillionen-Metropole im Süden Indiens, Haupt-stadt des Bundestaats Karnataka. Das Windmills im östlichen Teil Bangalores – eine moderne Mikrobrauerei mit feinem Restaurant samt Konzertbühne, bestens etabliert als Platz für Live Jazz. Ein guter Ort auch für ein progressives, unkonventionelles Jazz-Quartett aus Deutschland? Diese Aufnahme des Auftritts von Drummer und Komponist Jo Beyers Gruppe lässt schon mit dem ersten von insgesamt fünf hochenergetischen Tracks keine Fragen offen: „The Bullshit Talker“ ist eine Tour de Force, wie sie eine Band nur dann abliefern kann, wenn alles passt.

Jo Beyer erinnert sich mit Freude. „In Bangalore waren wir gegen Ende unserer Indien-Tour. Wir waren extrem gut eingespielt, der Raum klang schon beim Soundcheck unfassbar gut, die Leute waren megacool – wir hatten eine richtig gute Zeit auf der Bühne. Es gab auch keinen Druck durch den Gedanken, wir nehmen hier jetzt ein Album auf.“ Mitgeschnitten wurde das Konzert routinemäßig von einer Ton-Crew des Clubs: Audio und Video auf höchstem technischen Niveau. Als sich die Gruppe ein paar Tage später auf den Weg zum Flughafen machte, klang die Erfahrung im Windmills immer noch nach. Gitarrist Andreas Wahl sprach schließlich aus, was alle dachten: „Mit diesen Aufnahmen sollten wir was machen.“

„Live in Bangalore“, die dritte Veröffentlichung der Band von Jo Beyer, ist ein Glücksfall: ein Live-Album schier überbordender Spiellust, das die Musik und das aktuelle musikalische Potenzial des Vierers in nahezu idealer Form dokumentiert. Ein kleiner Kompromiss: man hört kaum etwas von den teils frenetisch begeisterten Reaktionen des Publikums – dafür waren schlicht keine Mikrofone vorgesehen. Beyer strahlt noch immer, wenn er an all die Menschen denkt, die sich Tickets für eine in Indien kaum bekannte Band aus Köln am Rhein gekauft hatten. „Das war schon krass. Hinterher kamen Leute zu uns und sagten: sowas hab‘ ich noch nie gehört, das hat mich total geflasht. Das war eine Resonanz zwischen Musik und Publikum auf einer anderen Ebene. Emotionale Reaktionen, wie man sie kaum aus Konzerten in Deutschland kennt.“ Auch ein Resultat dessen, dass man in Indien nicht jeden Tag eine deutsche Band erlebt, die einen Leader mit solch eigenen kompositorischen Ideen hat? „Ich hab‘ schon gemerkt, dass die Leute extrem offen sind, dass es insgesamt leichter ist, Musik zu präsentieren, die sie vielleicht noch nicht kennen.“ Was sich deckt mit seinen Erfahrungen als Mitglied des eigenwilligen Trios Malstrom in China oder Japan.

Überfällig ist ein Live-Album dieser Band nicht nur mit Blick auf die Zeit des Bestehens. Beyer gründete das Quartett 2016 unter dem Band-Namen „Jo“. Im folgenden Jahr erschien das Debütalbum, 2019 gefolgt von dem Berthold Records-Album

„Party“. In der frühen Corona-Phase gab es eine Umbesetzung. Neuer Pianist und Keyboarder wurde Felix Elsner. Sämtliche Titel auf „Live in Bangalore“ existieren bereits in Studioversionen. Kein Manko, findet auch der Leader – im Gegenteil. „Mir gefiel der Gedanke! Wir haben so viel gespielt, dass sich die Musik extrem weiterentwickelt hat und sich die Stücke deutlich verändert haben. Das Zusammenspiel, die Interaktion, die Improvisationen – das ist über die Jahre auf ein ganz anderes Level gekommen. Die Art und Weise, wie wir jetzt spielen, ist völlig anders. Außerdem wollte ich endlich auch ein Album mit Felix haben“ – der setzt gleich im Opener ein fettes solistisches Ausrufezeichen.

Eine Besonderheit in Beyers Band ist, dass ein Bass fehlt …..sorry – falsch formuliert! Der Kölner grinst. „Dass eine Band einen Bass braucht, ist kein Naturgesetz! Wenn man sich davon löst, kann das sogar viel Stress rausnehmen. Natürlich macht es Sinn, in rhythmischer Musik ein tieffrequentes Fundament zu haben. Aber das lässt sich anders erreichen, zum Beispiel, indem man von Vornherein Musik entsprechend schreibt und konzipiert.“ Jo Beyer komponiert stets am Klavier, dem ersten Instrument seines musikalischen Weges; zum Schlagzeug kam der gebürtige Essener erst deutlich später. In Felix Elsner hat er einen Pianisten gefunden, der all das mitbringt, was für diese Band und die sehr speziellen Kompositionen essenziell ist. „Das Klavier spielt eine besonders wichtige Rolle. Es ist die Basis, auf der alles aufbaut. Vieles ist für das Instrument geschrieben. Diese Band erfordert eine ganz besondere Art, Kla-vier zu spielen, jenseits des klassischen Jazzpianisten.“ Auf Elsner machte ihn Saxofonist Sven Decker aufmerksam. „Ich hab‘ mir ein paar ganz alte Videos angesehen mit ihm, so Fusion-Sachen, und ich wusste sofort: das ist genau das, was ich suche – megarhythmisch, mega Power.“ Auch für Gitarre und Sax sieht der Schlagzeuger wichtige rhythmische Elemente vor.

Die anderthalbwöchige Tournee durch Indien im Januar 2024 kam durch den Kontakt zu einer indischen Agentin aus Paris zustande. Ermöglicht wurde der Trip schließlich auch durch Goethe-Institute vor Ort. „Wir haben in extrem unterschiedlichen Venues gespielt: vom Jazzclub über ein Festival bis zu ‚edleren‘ Locations wie dem Windmills.“ Den definitiven Mix des Mehrspur-Mitschnitts übernahm Beyer selbst. Während der Pandemiejahre hatte er gezielt eine Expertise im Umgang mit Studio- und Soundtechnologie entwickelt. Länger schon komponiert er Filmmusik. Außerdem rief er – der Mann ist in jeder Hinsicht wendig – ein Avant-Elektro-Pop-Projekt ins Leben.

Auf den ursprünglichen Namen für seine Band verzichtet er inzwischen – der hatte immer mal wieder Irritationen und falsche Ankündigungen verursacht. Jetzt steht sein voller Name für die vierköpfige Gruppe, die zweifellos zu den herausragenden und originellsten des deutschen Jazz-und-mehr-Geschehens gehört. Und die mehr denn je alles dafür mitbringt, weit darüber hinaus zu strahlen, egal in welche Richtung sie Jo Beyer noch steuert. Das unterstreicht dieses mitreißende Live-Dokument.

Jo Beyer

Sven Decker – Tenorsaxophone

Felix Elsner – Piano

Andreas Wahl – E-Guitar

Jo Beyer – Drums

Recording: Sohan

Mixing: Jo Beyer

Mastering Steffen Lüttke

Composer: Jo Beyer

Recorded live at Windmills Bangalore, India in January 2025

© 2025 by Jo Beyer

Berthold Rec / CD BR325301; LP BR325318 / LC 27984 / 4250647325301 / Vertrieb: CARGO

 

VÖ: 21.11.2025

Fotos I Cover