Jan Schreiner Large Ensemble – Minora Sky
Die perfekte Balance zwischen Flüstern und Krachmachen. Massive Töne werden durch Euphorie ersetzt. Es gibt nichts Überflüssiges, jeder Ton kommt mit einer klaren Aussage auf den Punkt und es ist die verblüffende einfache Antwort auf die Frage, warum Musik so wichtig in unserem Alltag ist.
Wie erzählt man eine gute Geschichte? Entweder man haut mit der Faust auf den Tisch und kommt gleich zur Sache, oder aber man lässt die Story ganz langsam kommen. Der umtriebige Bassposaunist und Tubist Jan Schreiner entscheidet sich auf ‚Minora Sky‘, dem neuen Album seines Large Ensembles für den zweiten Weg. In den ersten Takten des Titelsongs mag man sich sogar fragen: Bin ich im richtigen Album? Ist das vielleicht ein Piano Trio, das einfach nur in der falschen Hülle steckt? Doch dann kommen die Bläser, erst verhalten und bald immer vehementer. Schreiner öffnet ein Portal, durch das man hindurchschreiten muss, um die volle Pracht seines musikalischen Panoramas genießen zu können. Schließlich blüht, wächst und wuchert es aus allen Richtungen zu einer Sinfonie der Sinne zusammen. Das Stück klingt wie die Beschreibung eines Sommermorgens, an dem sich erst zaghafte Sonnenstrahlen über den Horizont wagen, bis die Sonne immer mehr Wärme schenkt, die Farben sich zu voller Kraft entfalten und man letztlich nicht mehr anders kann, als in den See zu springen. Und das ist nur der erste Track. Im zweiten Song „Stock Im Rad“ kommt Jan Schreiner dann tatsächlich gleich zur Sache. Und wie! Es gibt den großen Rums, aus dem sich dann filigranere Strukturen ableiten.
Und so geht es immer weiter. Das gesamte Album wird von einer unglaublichen individuellen wie kollektiven Energie, Euphorie und Spielfreude getragen, bei dem man sich als Hörer sofort in die Gemeinschaft der Musizierenden einbezogen fühlt. Auch wenn sich die Stimmung vom Wachsen und Aufbruch kontinuierlich durch das gante Album zieht, lag der Musik gar kein Plan zugrunde. Jan Schreiner sieht darin eher die konsequente Fortsetzung dessen, womit er sich ohnehin beschäftigt. Mit der ausgelassenen Heiterkeit dieser Songs will er bewusst einen Kontrapunkt setzen. „Oft liegt ein Missverständnis vor, dass man nur dann als Künstler wahrgenommen wird, wenn der Musik ein gewisser Ernst zugrunde liegt. Aber das ist mir ganz egal. Entweder es gefällt mir, oder es gefällt mir nicht. Gerade in unserer Zeit, in der viele Menschen denken, es ist doch sowieso egal, ob ich noch aus dem Bett komme oder nicht, ist es mir wichtig ein Projekt umzusetzen, in dem einem mehrheitlich strahlende Gesichter begegnen.“
Jan Schreiner ist Erfinder wundervoller Melodien, die teilweise ganz jazzuntypisch sind. Er selbst sagt, er hat stets eine Spieluhr im Hinterkopf, die ganz einfache, eingängige Melodien hervorzaubert. Beim Hören überträgt sich sofort das Gefühl, man würde diese Weisen schon lange kennen. Da stellt sich unweigerlich die Frage, ob eine schöne Melodie nicht schon seit Menschengedenken in der Luft liegt und darauf wartet, zum passenden Zeitpunkt von der richtigen Person freigelegt zu werden, genauso wie der Renaissance-Bildhauer Michelangelo immer behauptet hat, seine Skulpturen lauerten schon im Marmor, er müsse sie nur befreien. Der Prozess, wie Schreiner seine Kompositionen in Angriff nimmt, ist oft der Gleiche. „Es beginnt damit, dass ich Parameter wie Stil, Tempo, Taktart und Charakter festlege. Daraus ergeben sich Fragmente, die ich so lange vor ich hinsinge, bis die Melodie von allein weitergeht. Ich finde den Gedanken ganz schön, dass die Melodien schon vor mir da sind und ich sie wie ein Steinmetz aus dem Felsblock raushaue.“
Nun ist die metaphysische und auch teils theoretische Annäherung an eine Melodie nur ein Aspekt. Eine andere Sache ist aber, was man daraus macht. Immer wieder findet Jan Schreiner überraschende Verknüpfungen von Leichtigkeit und Vehemenz. Naturbeobachtungen, Erlebnisse mit seinen Kindern, Erinnerungen und viele andere Impressionen gleiten hinüber in den weiten Möglichkeitenkatalog eines Large Ensembles, das intime Momente in mannigfacher Schattierung ebenso zulässt wie die unverblümte Draufsicht aufs große Ganze. In seinen Stücken steckt oft ein Funkeln, das bei den Hörenden je nach Veranlagung Assoziationen an ganz andere Dinge wecken mag. Schreiner findet die perfekte Balance zwischen Flüstern und Krachmachen, die ausreichend Sicherheitsabstand zur klischeehaften Big-Band-Schwere hält. Massive Töne werden durch Euphorie ersetzt. „Auf Massivität hatte ich diesmal überhaupt keine Lust. Hier und da wird sich das sowieso ergeben, wenn alle elf Beteiligten zusammen loslegen, aber beim Komponieren hat das eine sehr untergeordnete Rolle gespielt. Beim Schreiben war ich viel weniger bei Big Band und viel mehr bei Combo.“
Hinsichtlich des Sounds denkt Jan Schreiner viel weniger an die Beschaffenheit der Instrumente als an die individuellen Stimmen der beteiligten Musikerinnen und Musiker. Seine Band ist ein Ensemble von Leadern, von denen eine jede Persönlichkeit etwas zu sagen hat, individuell und im Kontext des Kollektivs. Diesem Umstand trägt der Komponist Schreiner Rechnung. Aus dieser Haltung ergeben sich in seiner Imagination Soundkombinationen, die er dann entsprechend anpasst. Aber gerade durch diese Herangehensweise hat die Band auch im großen Kontext immer noch einen sehr charakteristischen Klang. Das sind Menschen, die nicht aufgrund beruflicher Notwendigkeit zusammenspielen müssen, sondern Individuen, die gern zusammenspielen wollen und das Glück eines Leaders haben, der kollektiven Profit daraus zu schlagen weiß, indem er bei der Finalisierung der Kompositionen und auch bei der Postproduktion alle Mitglieder der Band einbezieht.
Musik ist Leben und Jan Schreiner ist Musik. Auf ‚Minora Sky‘ gibt es nichts Überflüssiges. Jede Redundanz ist ihm fremd, jeder Ton kommt mit einer klaren Aussage auf den Punkt. ‚Minora Sky‘ beantwortet auf verblüffend einfache Weise die Frage, warum Musik so wichtig in unserem Alltag ist.
NWOG Records / nwog071 / LC 77779 / 4015698181074 / Vertrieb: Indigo/Kontor
VÖ: 20.02.2026





