Fabia Mantwill Orchestra – In.Sight
In Fabia Mantwill‘s Musikverständnis gibt es nichts, das nicht geht. Ihr steht ein Farbspektrum zur Verfügung steht, das seinesgleichen sucht.
Bei aller Komplexität bleibt IN.SIGHT immer leicht und zugänglich, es ist das bedingungslose Bekenntnis zu einer absoluten Musik.
Es gibt Musik, angesichts derer die Transportwege vom Ohr über das Hirn ins Sprachkontrollzentrum komplett versagen. Wie also etwas beschreiben, das sich nicht oder zumindest nur schwerlich beschreiben lässt? Versuchen wir es trotzdem. Ein Streicherarrangement öffnet einen Vorhang. Hinter diesem Vorhang offenbart sich auf breiter Leinwand eine Landschaft. Eine Gitarre führt uns auf den Weg, Harfenklänge geben uns eine vage Ahnung vom Horizont, bis sich immer mehr Instrumente hinzugesellen und besagter Landschaft Gestalt und Tiefe verleihen. Es ist kein konkreter Ort, der hier beschrieben wird, sondern eine Kombination aus Sehnsucht, Neugier und imaginärer Erinnerung, die sich in einen individuell variablen Freiheitsdrang übersetzt. Und das ist nur der Anfang.
Fabia Mantwill ist eine Komponistin, Saxofonistin und Bandleaderin aus Berlin, die längst alle Scheuklappen abgelegt hat. Jazz, Folklore, Americana, Pop, Klassik, Soundtrack, Exotica – nichts davon käme ihrer Musik selbst in Kombinationen der genannten Komponenten nahe. Auf ihrem Debütalbum EM.PERIENCE brachte sie 2021 ihren Anspruch bereits voll zum Ausdruck. Doch zu diesem Zeitpunkt musste sie noch manifestieren, wer sie ist und was sie will. Ihr zweites Opus Magnus IN.SIGHT erzählt nun eine ganz andere Geschichte. Zwar erscheint das Werk im klassischen Albumformat, doch in diesem Fall ist das Album nur das Vehikel, auf dem die Musik transportiert wird. Denn IN.SIGHT ist ein klingendes Spektakel, das sich kühn über alle merkantilen Optionen hinwegsetzt, ein zeitloses Ereignis, das sich hinter bahnbrechenden Werken der Musikgeschichte wie Antonin Dvořáks Sinfonie „Aus der neuen Welt“, Robert Graettingers legendärer Suite „City Of Glass“ oder Elmer Bernsteins Soundtracks nicht zu verstecken braucht. „Viele Entscheidungen, die ich traf, fielen eher unbewusst“, erinnert sich Fabia Mantwill. „Ich habe aber gelernt, auf das zu vertrauen, was passiert und sich daraus ergibt. Das Album entstand aus meinem Inneren heraus. Es bringt zum Ausdruck, was mich selbst bewegt und berührt.“
Vorsicht vor Übertreibungen ist in jedem Fall geboten. Zu schnell können falsche Erwartungen geweckt werden. Im Fall von IN.SIGHT ist jede Zurückhaltung jedoch völlig fehl am Platz. Was die junge Berlinerin hier zu Gehör bringt, hat man in dieser Form noch nie gehört. Und das nicht, weil sie Genregrenzen aufhebt oder Epochen neu definiert, auch nicht, weil sie sich rücksichtslos über Erwartungen und Hörgewohnheiten jeglicher Couleur hinwegsetzt. Nicht einmal, weil ihr ein Farbspektrum zur Verfügung steht, das seinesgleichen sucht. Was IN.SIGHT so bedeutend macht, ist der Umstand, dass seine Schöpferin unumschränkt groß denkt, ohne das Kleine aus dem Blick zu verlieren. Sie formt eine gigantische Klangskulptur, die sich bei genauem Hinhören aus Tausenden und Abertausenden winziger Partikel aus der ganzen Welt zusammensetzt. Es gibt in Fabia Mantwill‘s Musikverständnis nichts, das nicht geht. Es geht lediglich darum, das passende Level zu finden, auf dem es vereinbar ist. Die unfassbare Kompatibilität aller nur denkbaren existierenden und virtuellen Idiome stürzen in einem Niagarafall der nimmer versiegenden Imagination auf die Wahrnehmung der Hörer herab. Das ist stark.
Um das Spektrum so weit und offen wie möglich zu halten, arbeitete die erfahrene Komponistin Fabia Mantwill erstmals mit zwei komponierenden Mitverschworenen zusammen, die einerseits mit der Berlinerin zu einer Trinität verschmelzen, andererseits aber ganz eigene Akzente setzen. Der Amerikaner Michael League ist nicht nur Leiter der Band Snarky Puppy, sondern hat in der Zusammenarbeit mit dem Metropole Orkest auch schon Erfahrungen mit Großformationen gesammelt. Die Griechin Magdalini Giannikou verfügt über eine immense Erfahrung im Zusammenspiel verschiedener musikalischer Ethnien und hat sich vor allem als Soundtrack-Komponistin verdient gemacht. Diese Zusammenarbeit war nicht ohne Risiko, ging jedoch voll auf, da sämtliche Kompositionen im Teamwork entstanden, ohne dass Bruchkanten oder Dissonanzen entstanden. Stattdessen erlangte die Musik auf IN.SIGHT durch diese Arbeitsweise ein hohes Maß an Dreidimensionalität. „Ich machte die Erfahrung, dass ich dadurch nicht meine Stimme als Komponistin oder meine Handschrift für das Orchester verliere, sondern im Gegenteil meine eigenen Aussagen fokussieren und verstärken kann“, erinnert sich Fabia Mantwill. Das trifft auch insbesondere auf die sechs Gäste zu, die den einzelnen Titeln nochmal einen besonderen individuellen Fokus geben. Mit den Gitarristen Kurt Rosenwinkel und Roosevelt Collier, Koraspieler Momi Maiga, Akkordeonist Goran Stevanovic, French Horn-Virtuose Morris Klipphus, Klarinettistin Anat Cohen und nicht zuletzt Fabia Mantwill selbst als Solistin erhält jedes Stück eine ganz besondere Färbung nd Lichtdurchflutung.
Die einzelnen Stile, Ethnien und Traditionen aufzuzählen, welche hier zusammenfließen, würde Seiten füllen. Das ist aber völlig überflüssig, weil die Gesamtheit von Fabia Mantwill‘s schöpferischer Allkraft ohnehin etwas völlig Neues ergibt, das den ursprünglichen Impuls obsolet macht. Es gelingt ihr dabei, auf allerhöchstem Niveau zeitlos trivial zu sein, Nahbarkeit zu generieren und sich somit in die vorauseilende Erinnerung ihrer Hörer und Hörerinnen einzubrennen. Bei aller Komplexität bleibt IN.SIGHT immer leicht und zugänglich. Auch wenn man keine Ahnung haben konnte, dass ein Album wie dieses jemals das Licht der Welt erblicken würde, scheint die Orchesterleiterin uns doch schon nach wenigen Takten zu versichern, auf genau dieses Stück Musik hätten wir unser ganzes Leben lang gewartet, weil es alles bündelt, was Musik uns geben kann.
Fabia Mantwill versteht sich wie eine Zauberin auf die psychoakustischen Möglichkeiten eines Orchesters. Die Bezeichnung „Orchestra“ tragen ja viele Big Bands, Rockgruppen, Salonkapellen. Das Fabia Mantwill Orchestra ist jedoch weder Big Band noch Film- oder Sinfonieorchester, auch kein Hybrid aus all diesen Existenzformen großformatiger Musik. Es ist ein eigens auf die Komponistin zugeschnittener Klangkörper mit 32 Musikern und sechs Gastsolisten, der präzise ihre Visionen umsetzt.
IN.SIGHT, auf Sichtweise, ist der unverbrüchliche Vertrauensbeweis einer großen Komponistin und Orchesterleiterin in die Urkraft der Musik und den eigenen kreativen Impuls. Sie behält ihre Visionen fest im Blick und lehrt ihre Hörerschaft das Staunen. Diese Musik braucht keine Erklärungen. IN.SIGHT ist nicht weniger als das bedingungslose Bekenntnis zu einer absoluten Musik.
GroundUp Music/GUM725FM/LC28353/4170000231622/
Vertrieb: fabiamantwill.bandcamp.com/The Orchard
Katalognummer CD GUM725FMCD Katalognummer LP GUM725FMV
VÖ: 25.07.2025