Christoph Stiefel - Sofienberg Spirits

Christoph Stiefel - Sofienberg Spirits

 Nwog Records 019 / EAN 7640172462058 / Vertrieb: EDEL

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Veröffentlichung: 16. Februar 2018

 

Transzendente Poesie begegnet rhythmischer Wucht

Wozu brauchen wir eigentlich Kategorien, die sich gegenseitig erklären oder aufheben, wenn jeder Klang an sich doch so viel stärker ist als die Bezeichnungen, die sie wie Reißnägel für alle Zeiten festnageln sollen? „Sofienberg Spirits“, das dritte Soloalbum des schweizerischen Pianisten Christoph Stiefel gibt die einzig denkbare Antwort auf diese Frage. Wir brauchen weder diese Begriffe, noch irgendwelche Haken und Schubläden. Stiefels Miniaturen lassen sich in der Welt der Klassik ebenso verankern wie im Jazz, man kann sie impressionistisch oder meditativ nennen, sie als über den Dingen stehend oder tief in ihrem Kern ruhend empfinden. Am Ende bleibt es immer ein Mann und sein Ton.

Von Hause aus ist Christoph Stiefel ein sehr gruppendienlicher Musiker. Vor allem sein Inner Language Trio mit Bassist Arne Huber und Drummer Kevin Chesham hat immer wieder Furore gemacht, weil es sich weit aus dem inneren Zirkel der Vorgaben eines Jazz-Piano-Trios herausgewagt hat. Im Solospiel ist Stiefel ganz bei sich, und doch wirkt es, als würde er mit sich selbst als Band verhandeln. Wie ein Stride Pianist übernimmt er verschiedene Funktionen, löst sich die linke Hand aus jener Funktionalität, die von der melodieführenden Rechten vorgegeben wird. Physische Wucht begegnet auf sehr individuelle Weise transzendenter Poesie.

Die Tradition, auf der Stiefel seine Kompositionstechnik aufbaut, ist viel älter als der Jazz. Sie nennt sich Isorhythmie und stammt aus dem Spätmittelalter bzw. der Musik der Renaissance. Genau genommen ist die Isorhythmie eine europäische Spielart der Polyrhythmik, die darauf beruht, dass der Rhythmus und die Melodie sich überlagern oder eine rhythmische Einheit länger oder kürzer ist als eine melodische Einheit. Sehr gut ist diese Überlagerung in Stiefels Interpretation von John Coltranes „Giant Steps“ zu hören. Der Pianist selbst trifft den Nagel auf den Kopf, indem er von einer Illusion von Polyrhythmik spricht.

Der Schweizer ist nicht der erste Pianist, der dieses Prinzip im Jazz anwendet, aber seine große Stärke besteht in der Vereinfachung und Verknappung. Stiefel lässt alles Überflüssige weg. Seine Stücke ähneln antiken Torsi, die ihre strukturelle Poesie gerade aus dem Moment der Reduktion empfangen. Da ist nichts, was ihre Vollkommenheit verstellen würde. So verzichtet er in seinen Stücken auch auf alle Vermittlungen zwischen den sich überlagernden rhythmischen und melodischen Segmenten und bewahrt ihnen eine verführerische Purheit und Reinheit, die sich unschwer auf die Wahrnehmung des Hörers überträgt. Komplexität im Ansatz verwandelt sich bei Stiefel in Einfachheit in der Umsetzung.

Seine Erfahrungen im Trio und Septet kommen ihm bei der Weiterentwicklung seines isorhythmischen Konzepts ebenso zugute wie seine Arbeit mit elektronischen Instrumenten. Auf „Sofienberg Spirits“ beschränkt er sich aufs akustische Klavier, das er allerdings auch präpariert. In einigen Momenten jedoch wirkt die lineare Eindringlichkeit der Stücke geradezu technoid. Allerdings hat sich Stiefel mit Techno genauso wenig beschäftigt wie mit Stride Piano oder Minimal Music. Es geht ihm nicht um einen möglichst flächendeckenden Mix möglichst vieler Stile, sondern seine innere Sprache wird wie ein Dialekt von verschiedenen Sedimenten eingefärbt, die sich im Lauf der Jahrzehnte in seinem Idiom abgelagert haben, ob er dies nun forciert oder nicht.

Insofern ist Stiefels Musik grundehrlich. Er spielt, was er spielen muss. Und er spielt es so, wie er es spielen muss. Seine Kompositionen werden von spontanen Improvisationen kontrastiert, die zwar derselben ästhetischen Haltung entspringen, aber situativ komplett anders gepolt sind. Die Leichtigkeit dieser Improvisationen triggert wiederum den Fluss der komponierten Tracks. Das Was und Wie im Spiel wird von Stiefel durch ein entschiedenes Wann komplettiert. Der Erfolg einer Solo-CD läuft nicht unausweichlich auf die nächste Solo-CD hinaus, sondern zwischen diesen Alleingängen liegt immer eine ganze Reihe von Jahren. Er braucht einen Anlass oder zumindest eine innere Leerstelle, um sich ein Soloalbum zu gönnen. Genau das macht dann die Dringlichkeit im unmittelbaren musikalischen Prozess aus. Und er braucht viel Vorbereitung, um aus diesen komplexen Ideen lebendige Organismen zu machen, die eben keines Beipackzettels bedürfen, um sie barrierefrei genießen zu können.

Jede CD erzählt ihre eigene Geschichte. Der Gedanke zu einer neuen Solo-Platte kam Stiefel erstmals, als er im Frühjahr 2016 in Oslo mit dem Saxofonisten Karl Seglem in der Sofienberg Kirche frei improvisierte. Etwas später im selben Jahr realisierte er nach einem Soloauftritt in Frankreich, dass er genug Material für eine neue Solo CD zusammenhätte. Erst als er dann schliesslich für die Solo Aufnahme wieder in Oslo in derselben Kirche am Flügel saß kam ihm die freie Session mit Seglem in Erinnerung. Dieses Spiel mit der freien Improvisation inspirierte ihn letztlich zu dieser speziellen Kombination aus spontanen Improvisationen, Eigenkompositionen und einem Standard.

„Sofienberg Spirits“ ist ein Album, das in seiner betörenden Ganzheitlichkeit nichts offen lässt und doch riesengroße Freiräume öffnet, die sich nicht nur über Jahrhunderte erstrecken, sondern der Wahrnehmung des Hörers ungeahnte Perspektiven einräumen.

 

Christoph Stiefel Piano Solo - Sofienberg Spirits  LIVE

01.03.2018  Frankfurt (D) Steinway-Haus 

02.03.2018  Darmstadt (D) Stadtkirche  

09.03.2018  Luzern (CH) Johanneskirche

 

04.04.2018  Baden (CH), Stanzerei : Christoph Stiefel Piano Solo invites... : Andreas Schaerer (voc)

21.04.2018  Bremen (D), Kulturkirche St. Stephani , Jazzahead Clubnight 19:30h und 23:30h ( 2 Konzerte à je 2 Sets à 40min)

22.04.2018  Berlin (D) Kultur-Kirche Nikodemus, Zeitklang  

25.04.2018  Zürich (CH) Johanneskirche 

30.04.2018  Basel (CH) Jazz Campus gr.Saal, Intern. Jazz-Day

27.05.2018  Hamburg (D), Stage Club

Jazz Federation : Christoph Stiefel Piano Solo invites... : Christophe Schweizer (tb) 

 08.06.2018  Bonn-Friesdorf (D) Pauluskirche, offene Kirchennacht

 

04.07.2018  St.Gallen (CH), Kirche St.Laurenzen (Mittagskonzert)

07.07.2018  Wetzikon (CH), Aula Kantonsschule

12.07.2018  Berlin (D), Gedächtniskirche - In Spirit

www.christophstiefel.ch