Frank Wingold - Entangled Music

Frank Wingold – Entangled Music

Berthold Records / 4250647318020 / Vertrieb: JA KLA / Helikon Harmonia Mundi

Veröffentlichung: 15. Mai 2018

 

Die Entführung  in eine spannende, mehrdimensionale Musik-Parallelwelt

 

Entangled“ - auf deutsch übersetzt „verschränkt“ - nennt Frank Wingold seine Musik. Ein Ausdruck, den der Kölner Gitarrist und Komponist -  der als Professor für Jazzgitarre in Osnabrück lehrt – der Quantenphysik entnommen hat. „Auf die Musik bezogen, steht der Begriff für die Idee, dass zwei oder mehr Partikel andere beeinflussen – und sogar ohne direkte Kommunikation – zu einem verflochtenen System werden“, erklärt Wingold. 

Dieses Prinzip zieht sich wie ein roter Faden durch sein neues Album „Entangled Music“, das er zusammen mit Robert Landfermann (Bass) und Jonas Burgwinkel (Schlagzeug) eingespielt hat. Darauf erzeugt das Trio eine äußerst lebendige Polyphonie, in der sich die drei Instrumente miteinander verzahnen und ineinander verschlingen. „Die Rollen der Instrumente wechseln ständig. Ein Ansatz, den ich faszinierend finde“, sagt Wingold, der Anleihen aus der Quantenphysik völlig unakademisch als rein künstlerische Inspirationen versteht. Fest steht: mit seinem Trio entführt er sein Publikum in eine musikalisch hochspannende, mehrdimensionale Parallelwelt.

Eine Spielart, die Flexibilität und Präzision auf höchstem Niveau erfordert. „Mich interessiert der kammermusikalische Trio-Ansatz. Ich höre Texturen und fließende Strukturen, die ineinandergreifen und ein schillerndes, changierendes Ganzes jenseits der festgelegten Instrumenten-Rollen bilden“, so der Komponist, der von erfahrenen, virtuosen Spielgefährten unterstützt wird. „Jonas und Robert bilden eine sehr starke Rhythmusgruppe. Diese Mischung aus Virtuosität und ästhetischem Einfühlungsvermögen findet man im Jazz äußerst selten. Sie kennen sich schon lange und passen stilistisch perfekt zusammen.“ Tatsächlich bilden die Beiden ein Gespann, das sie zu einer der gefragtesten Rhythmusgruppen unserer Zeit macht. John Scofield, Chris Potter, Uri Caine, Chris Speed und Yo-Yo Ma – nur einige Namen, mit den die Beiden schon gespielt haben – entweder alleine oder gemeinsam.

Von allen Kompositionen ist „Bipolar“ sicher diejenige, in der das Trio das Prinzip der „Verschränkung“ am konsequentesten umsetzt. Bass und Gitarre ergänzen sich rasant komplementär – auch während der Soli - und verschmelzen mühelos mit dem Schlagzeug. In „Urban Myth“ spinnen die Musiker immer feinere melodische Gewebe über schroffe Akzente, während die Ballade  „Monolith“ - mit ihren balkanesken, schwermütigen Akkorden - mehr ans Herz gerichtet ist.

Adelante“ zelebriert die überschwänglich virtuose Spielfreude, wie man sie aus lateinamerikanischer Musik oder aus dem Flamenco kennt. In „Singularity“ lassen die Musiker ihre Melodien um einen durchlaufenen Zentralton kreisen – so wie Elektronen um einen Atomkern.„Mr. A is busy today“ hat Wingold seinem Sohn gewidmet als dieser seinen ersten Tag im Kindergarten hatte. „Anton war ‚busy‘ und ich hatte seit längerem die Muse zum Komponieren“, schmunzelt sein Vater. „Cowboy Calumet Abuse“ mutet eher ironisch an – ein augenzwinkernder Kommentar zur Country & Western-Szene und zur Tex-Mex-Gitarre. In „Swindle“ schließlich,  gibt es einen Takt, der einen Tick zu lang geraten ist, weil eine 16tel –Note zu viel auftaucht, was aber kaum hörbar ist und daher als eine Art Schwindel empfunden werden könnte. Der Kölner Gitarrist erklärt es so: „Im Deutschen kann ‚swindle“ auch ‚schwindelig‘ bedeuten. Das ist der gleiche Effekt wie bei einer optischen Täuschung. Man hat das Gefühl, dass da klanglich etwas nicht stimmt, aber man kommt nicht drauf, was es ist.“

Zu den Musikern, die Wingolds Stil beeinflussen, gehören der französische Komponist Henri Dutilleux, der „wunderschöne, geradezu sinnliche Musik schreibt, ohne jemals Klischees zu bemühen, ein Meister der filigranen und fein gewobenen Klangtexturen “ und Conlon Nancarrow, der als gebürtiger Amerikaner nach Mexiko auswanderte und vor allem für mechanisches (selbstspielendes) Klavier schrieb. „Er hat seine Musik direkt auf die großen Walzen komponiert. Die Löcher hat er selbst gestanzt, lange bevor man eine solche Musik mit Computern realisieren konnte. Dadurch konnte er rhythmische Ideen entwerfen, die in gängiger Notenschrift gar nicht darstellbar sind.“ Was Wingold an diesen Komponisten so schätzt, ist die Fähigkeit, sich eine eigene, neue, unabhängige musikalische Welt zu erschaffen.

Obwohl man Wingold sicher keinen Traditionalisten nennen kann, ist er doch ein großer Fan des Jazzgitarristen Jim Hall und bewundert dessen enorme Musikalität. „Von allen großartigen Jazzgitarristen nimmt er den kürzesten Weg zwischen musikalischer Idee und deren Umsetzung“ begründet das Wingold und ergänzt. „Für mich war und ist er nach wie vor enorm inspirierend. Wenn ich ihn spielen höre, stelle ich mir niemals die Frage nach ‚modern‘ oder ‚traditionell‘. Ich erfreue mich einfach an dieser puren Schönheit und seinem direkten Spiel.“

Auf „Entangled Music“ bringen Wingold, Landfermann und Burgwinkel ihre unterschiedlichen musikalischen Einflüsse und reichhaltigen Erfahrungen ein, die sie auf Tourneen und Konzerten, sowie in unterschiedlichen Formationen gesammelt haben. Ihr Sound – elaboriert und dicht – spielt sich auf verschiedenen Ebenen ab, die transparente Synchronizität sich ergänzender Strukturen macht den besonderen Reiz dieser Musik aus. Auf diese Weise entstehen kleine kompositorische und improvisatorische Meisterwerke, in denen das Trio die traditionellen Rollenverteilungen der Instrumente aufbricht. Eine sehr persönliche und emotionale Art, musikalische Ideen auszudrücken und ein echtes Hörerlebnis.