Heliocentric Counterblast - A Tribute to Sun Ra

Heliocentric Counterblast - A Tribute To Sun Ra

Veröffentlichung: 11. Mail 2012

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mp3 Interview-Antworten Kathrin Lemke inkl. Fragenkatalog

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Heliocentric Counterblast holen Sun Ra heraus aus der Trash-Ecke, in die der charismatische Sonderling wegen seiner seltsamen Bühnenoutfits und der enigmatischen Weltraumweisheiten gerne geschoben wird. Und stellen ihn in eine Reihe mit Ellington, Mingus und Coltrane. Wo er auch hingehört.


Irdischen Quellen zufolge erblickte Herman „Sunny“ Blount 1914 in Birmingham/Alabama das Licht der Welt und starb 1993 ebendort an den Folgen eines Schlaganfalls. So steht es in den Musiklexika, und es ist alles blanker Unsinn.

Wenn man Blount, besser bekannt unter dem Namen Sun Ra, Glauben schenken darf, wurde er auf dem Saturn geboren. Dorthin ist er auch wieder zurückgekehrt, sagen seine treuen Mitmusiker. Was aber nicht bedeuten soll, dass er seinem zeitweiligen Zweitwohnsitz Erde nicht ab und zu noch mal einen Besuch abstatten würde.

So etwa an jenem Abend, als sich Sun Ra mitten in Berlins Prenzlauer Berg zu Wort meldete. Irgendetwas hatte der Saxofonistin Kathrin Lemke eingegeben, ihre Band zur Eröffnung der Session, die sie leitete, Stücke von Sun Ra spielen zu lassen. Natürlich, sie kannte und schätzte Sun Ra schon lange. Aber bisher hatte sie in ihren Projekten hauptsächlich ihre eigene Musik gespielt. Und die in kleineren Besetzungen.

Wenn man die Platten von Sun Ra hört, gibt es da so einen Grund-Geist, einen Spirit, der unglaublich stark ist. Das Faszinierende ist, dass dieser Geist auch entsteht, wenn man die Stücke selber spielt. Da überträgt sich etwas, das sich nicht erklären lässt“, sagt Lemke. So auch an diesem Abend, als die acht Berliner Musiker einen eindeutigen Befehl vom Saturn vernahmen: Eine Band muss gegründet werden, die sich vor einem der größten Käuze, Visionäre und Orchester-Leader, die der Jazz je hervorgebracht hat, verbeugt. So wurde Heliocentric Counterblast geboren – ein Name, der Sun Ra bestimmt sehr gefallen hätte.

Die Formation steht zweifellos unter einem guten Stern. Kurz nach ihrer Gründung erhielt sie vom Berliner Senat ein Stipendium, das den Gang ins Studio ermöglichte. Nach dem Preisträgerkonzert der Berliner Stipendiaten war sich die Jazzthetik-Autorin Franziska Buhre sicher, die „Entdeckung des Jahres“ gehört zu haben. Damit nicht genug: Als Gewinner der neusten Förderrunde der „Initiative Musik“ wird Heliocentric Counterblast inzwischen auch vom Bund finanziell unterstützt.

Keine Frage: Die erste CD des Ensembles erfüllt die hochgesteckten Erwartungen. Auf „A Tribute to Sun Ra“ nähert sich Heliocentric Counterblast dem Meister gleichermaßen mit enormer Spielfreude, hoher atmosphärischer Intensität und tiefem Respekt. Hier geht es nicht um das Bizarre im Schaffen des exzentrischen Science-Fiction-Philosophen, sondern um den Gestus, der ganze Musikergenerationen bewusst oder unbewusst beeinflusste.

Neben zwei kongenialen Originals von Bandleaderin Lemke und Trompeter Nikolaus Neuser stehen auf „A Tribute to Sun Ra“ Kompositionen aus den späten 50er Jahren, von Platten wie „Sun Song“ und „Jazz in Silhouette“, im Zentrum. Schleichende, hypnotische Bassriffs bilden oftmals die Grundlage, über der sich mächtige, dezent reharmonisierte Bläsersätze erheben. Immer wieder lösen sich diese Stücke auf; die Musiker nehmen sich die Freiheit, das Material zu zerreiben und wieder neu zusammenzusetzen. Es ist, als ob die Mitglieder von Heliocentric Counterblast, allesamt umtriebige Persönlichkeiten aus der Berliner Jazzszene, Kontakt zu einem freundlichen Urgeist aufnehmen. Wir haben es hier mit einer musikalischen Seance zu tun, die die vielen Gesichter und Gestalten Sun Ras in der Gegenwart des solistischen Augenblicks heraufbeschwört.

Man vernimmt den Urvater des Free Jazz genauso wie den Verwalter des afrikanischen Erbes (besonders beeindruckend in „Watusa“), man hört den Vaudeville-Künstler und Proto-Rock’n’Roller (etwa in „A Call For All Demons“, wo gestopfte Ochsenfroschbläser ihr Unwesen treiben), man lernt den Bebopper Sun Ra kennen („Future“) - und schließlich auch den Old-Time-Jazz-Befürworter (Gershwins „S’Wonderful“ bildet den schellacktönenden Abschluss der Aufnahme).

Heliocentric Counterblast holen Sun Ra heraus aus der Trash-Ecke, in die der charismatische Sonderling wegen seiner seltsamen Bühnenoutfits und der enigmatischen Weltraumweisheiten gerne geschoben wird. Und stellen ihn in eine Reihe mit Ellington, Mingus und Coltrane. Wo er auch hingehört.

Es ist vor diesem Hintergrund wirklich erstaunlich, dass es abgesehen von dem immer noch existierenden Sun Ra Arkestra unverhältnismäßig wenige Gruppen gibt, die Sun Ras Musik spielen. „Stimmt“, pflichtet Kathrin Lemke bei, „gemessen an seiner Bedeutung ist das wirklich mysteriös.“

Oder auch nicht. Vielleicht wollte Sun Ra nämlich genau das, als er sich an jenem Abend nach Prenzlauer Berg verirrte: Dass er sein schönstes Geschenk zum baldigen 100. Geburtstag von einer Band aus Berlin bekommt.

Live:

08.05.2012 Berlin, kaffee burger 19.05.2012 Eberswalde, jazz in e03.06.2012 Nickelsdorf, sun ra-festival12.06.2012 Berlin, kaffee burger 06.07.2012 Greifswald, Eldenaer jazz-evenings10.07.2012 Berlin, kaffee burger 9./10.11.2012 München, jazzfest 24.11.2012 Leer, speicher