Nils Wogram & NDR Bigband - Work Smoothly

Nils Wogram  & NDR Bigband - Work Smoothly    

 

Nwog Rec 020 / EAN 0782321268146 / Vertrieb: EDEL Kultur

 

Veröffentlichung: 08. Juni 2018

 

Nils Wogram ist Vieles, nur eines ist er ganz bestimmt nicht: Einfallslos. So intensiv er sich jedem einzelnen seiner zahlreichen Projekte widmen mag, zeichnen sich am Horizont seiner Imagination immer schon neue Wegmarkierungen ab. Wer den Posaunisten kennt, weiß, dass er niemals den einfachsten Weg wählt. Oft entscheidet er sich genau für die Strecke, die man am wenigsten von ihm erwartet. Und doch entpuppt sich die jeweilige Wahl stets als folgerichtig, zumal er sich auf jede dieser Reisen so gut vorbereitet, dass es für alle Mitreisenden eine höchst angenehme Herausforderung wird.

Sein neues Album „Work Smoothly“ hat der begnadete Leader kleiner Besetzungen tatsächlich mit einem großen Jazzorchester eingespielt. Und zwar nicht mit irgendeiner Big Band, sondern mit einem der Flaggschiffe der Szene, der NDR Big Band. Das ist nicht seine erste Begegnung mit dem renommierten Klangkörper, denn bereits 2007 veröffentlichte er in dieser Kombination „Portrait Of A Band“. Auf der neuen CD wird diese Episode jedoch nicht einfach fortgesetzt, sondern Wogram findet einen ganz neuen Ansatz, der seinem aktuellen Horizont gerecht wird. Wollte man sich auf die oft gebrauchte Floskel einigen, „es sollte kein gewöhnliches Big-Band-Album werden“, würde man der Sache nur teilweise gerecht, denn im Grunde genommen ist es genau das: ein waschechtes Big-Band-Album.

Aber gerade in dieser Hinsicht unterscheidet es sich von der Flut der Produktionen, die gerade das nicht sein wollen. Wogram zieht alle Register der Big Band. Am Anfang machte er sich Gedanken, was es überhaupt bedeutet, für eine Großformation zu schreiben. Sein leidenschaftliches Postulat zu diesem Thema liefert auch gleich die Antwort auf die verständliche Frage, warum er überhaupt ein Big-Band-Album gemacht hat. „Ich hörte mir viele historische Big Band-Aufnahmen an, und viele meiner Kollegen schreiben für Big Bands. Es gibt ja inzwischen viele freie Big Bands. Das Meiste davon ist unglaublich gut gemacht, die Spieler haben ein hohes technisches Level. Farben, Strukturen, der Rahmen, alles passt. Was mir bei alledem oft fehlt, ist die Substanz. Irgendwas, das wirklich beim Hörer hängen bleibt. Dass man nicht bloß so eine Wand auf sich zukommen sieht und davon beeindruckt ist, sondern Melodien, die für sich selbst sprechen. Ich wollte einfach richtige Stücke schreiben und nicht nur irgendwelches Material aus einer Keimzelle verwursten, um ein beeindruckendes Arrangement darüber zu erfinden.“

Wograms Anspruch besteht darin, die klassischen Sektionen und Funktionsweisen der Big Band zu featuren und trotzdem etwas sehr Persönliches daraus zu machen. Diese Strukturen setzt er überaus variabel und dynamisch ein. Es geht um die Story, die musikalisch erzählt werden will, und nicht um das Medium, das sie erzählt. Die Selbstsicherheit, mit der ein Freelancer wie Wogram einem alteingesessenen Ensemble wie der NDR Big Band seine Geschichten ins Stammbuch schreibt, ist beeindruckend. Er beschneidet den Klangkoloss an keiner Stelle in seiner Wucht und Fulminanz, und doch sind die Storylines sehr kleinteilig. Die Vielfalt der Farben und Stimmen wird überhaupt erst möglich, weil Wogram neben der Band als Ganzes eben auch auf eine Vielzahl von individuellen Gestaltungsmöglichkeiten zurückgreift. Vor allem gönnt er sich den Luxus, langsam zu arbeiten, jedem Ton, jedem Akkord Raum zu geben und sich schon beim Schreiben nicht auf das zu kaprizieren, was sich anbietet, sondern so lange zu suchen, bis es am besten passt.

Es ging ihm zu keinem Zeitpunkt darum, das Konzept Big Band neu zu erfinden. Wogram und die NDR Big Band haben sich bewusst füreinander entschieden und nehmen sich folglich so, wie sie sind. Aus dieser gesunden Akzeptanz resultiert ein natürlicher und lebensnaher Fluss der Intentionen und Bilder. Wograms intensive Beschäftigung mit den Möglichkeiten und der Historie der Big Band hat aber noch einen weiteren, in dieser Form gar nicht beabsichtigten Nebeneffekt. Unabhängig von den konkreten Kompositionen, die der Posaunist für die Band geschrieben hat, erzählt er gleichermaßen auch die Geschichte der Big Band. George Gershwin, Duke Ellington, Count Basie, Henry Mancini, Quincy Jones, Gil Evans, Carla Bley und Django Bates – sie alle scheinen Wogram unaufdringlich über die Schulter zu schauen. Er kopiert oder imitiert nichts, aber er lässt diese Referenzen intuitiv zu. Alles klingt überraschend und neu, und doch wirkt es auch vertraut und korrespondiert mit der progressiven Erinnerung. „Mir war wichtig, dass ich mich im Ergebnis nicht nur selbst als Frontmann wiederfinde, sondern dass sich auch alle beteiligten Musiker damit wohlfühlen. Ich habe vorher mit dem Orchester besprochen, wie ich die Band aufsetzen will, durfte meinen eigenen Tonmann mitbringen. Ich hab die ganze Big Band zum Essen eingeladen. Das ist nicht zu unterschätzen. Wenn man da nur hingeht und sagt: ‚so geht meine Musik, jetzt müsst ihr das perfekt spielen’, kommen unweigerlich Probleme auf. Ich wollte nicht daran scheitern, dass es am Ende heißt, meine Musik wäre so anstrengend und schwierig. Nein, die Musiker sollten sich wiederfinden, und wohlfühlen.“

Zum Wohlfühlen und Wiederfinden – nicht zuletzt im Sinne des Hörers – gehört auch Wograms Entscheidung, vertraute Musiker aus seinem Umfeld in die Produktion einzubeziehen. Mit dem in Frankreich lebenden Pianisten Bojan Z. hat er einen Gleichgesinnten hinzugezogen, dessen musikalische Weltoffenheit ihn schon auf dem Duoalbum „Housewarming“ inspiriert hat. In Sachen Spielfreude, Humor und emotionale Intelligenz funken der Posaunist und der Pianist auf derselben Wellenlänge. Drummer Jochen Rückert gehört aufgrund seiner Mitgliedschaft in Root 70 zu den Musikern, die mit Wograms Denkweise am engsten vertraut sind. Auch die Saxofonisten Steffen Schorn und Niels Klein haben schon öfter mit Wogram gespielt. In Rainer Tempel hat er sich schließlich für einen Dirigenten entschieden, der die Big Band mit derselben Leichtigkeit leitet, mit der er selbst die Stücke komponiert hat. Tempel ist sich mit Wogram einig, dass Spirit wichtiger ist als Präzision.

Nur wer sich aufs Leben vorbereitet, kann es nehmen, wie es kommt. Das trifft in vollem Maße auch auf „Work Smoothly“ zu. Nils Wogram hat es langsam angehen lassen, alle Komponenten so gut wie möglich von vielen Seiten durchdacht und vorbereitet, um sich am Ende mit allen Beteiligten bedenkenlos in den spielerischen Augenblick fallen lassen zu können. Auf diese Weise ist eine Big Band-CD entstanden, die zwar alles hat, was eine Big Band-CD eben braucht, und doch oder gerade deshalb ganz anders ist als alles, was wir in diesem Segment kennen.