Ron Carter Golden Striker - Live at the Theaterstuebchen, Kassel

Ron Carter Golden Striker - Live At Theaterstübchen Kassel

 In&Out Rec. / EAN 798747713320 / Vertrieb: In-akustik

 Veröffentlichung: 28. April 2017

 

80: Die Zahl steht da wie ein Monument. Ein Alter an der Weggabelung. Wohin geht die Reise? Wie viel Zeit bleibt einem noch? Man beginnt, das bisher Geschehene Revue passieren zu lassen, die guten wie die schlechten Jahre voneinander zu trennen. Aber es mag nicht gelingen. Denn es bleibt immer ein und dasselbe Leben. Wenn Ron Carter am 4. Mai 2017 möglicherweise in sich geht und auf die zurückliegenden acht Jahrzehnte blickt, dann gibt es selbst im Stillen für ihn kaum einen Grund, um mit sich zu hadern.

 

Seit mehr als fast sieben Dekaden gilt der smarte wie sympathische Kontrabassist aus Ferndale/Michigan als einer der wichtigsten, kreativsten und strahlkräftigsten Vertreter seiner Zunft und mit weit über 2000 Alben unter seiner Mitwirkung auch als einer der meistaufgenommenen Tieftöner der Jazzgeschichte. Mit seiner Philosophie der absoluten Professionalität und Verlässlichkeit erhob er sich zum Vorbild ganzer Generationen von Jazzmusikern. Seine ersten Platten spielte Ron Anfang der 1960er Jahre mit Kollegen wie Eric Dolphy und Don Ellis ein – Projekte, die stilbildend für den Modern Jazz wurden. Später erwarb er sich unauslöschliche Verdienste im legendären Quintett von Miles Davis, arbeitete mit Gil Evans, Cannonball Adderley, Freddie Hubbard, Quincy Jones, Herbie Hancock und McCoy Tyner, in Soloprojekten, mit Big Bands und sogar im Bereich des Hip Hop. Als Professor des City College of New York und der ehrwürdigen Juilliard School genoss er höchstes Ansehen.

 

Nicht nur deshalb eignen sich Bassisten perfekt für feierliche Anlässe. Sie verströmen Eleganz, Noblesse, Diskretion und Klugheit, versöhnen und führen zusammen. Die Diplomaten des Jazz. Was würde also besser passen, als zu Ron Carters 80. Geburtstag die neue CD des Golden Striker Trios, aufgenommen im wunderschönen Theaterstübchen in Kassel Ende Oktober 2016, zu veröffentlichen. Ein Geschenk, für die zahlreichen Fans des Bassisten, aber auch für ihn selbst. Denn dieses Trio zählt seit Beginn des neuen Jahrtausends zu Carters Lieblingsformationen, trotz oder gerade wegen einiger Umbesetzungen. Die vielleicht gravierendste ergab sich durch den Verlust des Pianisten Mulgrew Miller, der 2013 im Alter von nur 57 Jahren plötzlich verstarb. An seiner Stelle sitzt nun Donald Vega auf dem Klavierstuhl und durchmisst mit dem Gitarristen Russell Malone und dem alterslosen primus inter pares mit dosierten, sensiblen Schritten einen begrenzten, aber hoch spannenden Kreis, der auf wundersame Weise zum Quadrat mutiert. Aus dem Kosmos der grenzenlosen Musik ist Ron Carter längst wieder in sein Wohnzimmer heimgekehrt: zu den Songs des Great American Songbook.

 

Keine altersbedingte Bankrotterklärung, sondern eine Summe von Erfahrungen. Wenn Carter und Co. Songs wie Oscar Pettifords „Laverne Walk“, Louis Bonfas „Samba De Orpheu“, „My Funny Valentine“ von Rodgers & Hart, den oder das namensgebende „Golden Striker“ von John Lewis, aber auch berückende Originals wie  Candle Light“, „Eddie’s Theme“ und das traumhafte „A Nice Song“ benutzen, dann geht es nur noch um Ausdruck, Form, eine große Linie der Ästhetik. Im Theaterstübchen wagte keiner, auf seinem Stuhl zu rutschen oder sich zu räuspern. Musik auf Zehenspitzen, bei der das innere Licht automatisch gedimmt wird, der Herzschlag sich verlangsamt und Noten wie Federn durch den Raum schweben.

 

Dieser hölzerne Korpus im Zentrum der Bühne führt wie kein anderer aus der Zunft ein Leben neben dem obligaten Walkingbass. Geduldig, überlegt und mit seiner ganzen natürlichen Autorität ordnen er und sein Besitzer die Dinge, stellen Zusammenhänge her und erklären mit wenigen, prägnanten Tönen den Lauf der Musik. Links und rechts spielen sich Malone und Vega die Bälle zu. Der Gitarrist kontrastiert das lyrisch verträumte Piano des jüngsten Bandmitgliedes unaufdringlich, aber höchst effektiv mit Blues-Einschüben oder leuchtend schwebenden Akkordbögen. Das ist große, leise Kunst.