Shauli Einav - Animi

SHAULI EINAV – ANIMI

Berthold Records / 4250647319027 / Vertrieb: Cargo

 

Veröffentlichung: 8.3. 2019

 

Animi – der Titel des neuen Albums des israelischen Saxofonisten Shauli Einav kommt aus dem Lateinischen und bedeutet so viel wie Herz, Seele, Lebenskraft oder Eifer. Ein Begriff, der zugleich für Einavs Musik steht, deren Wirkung von herzzerreißend bis berauschend reicht. Und für das einfühlsame Verhältnis zu den Mitspielern seines Quintetts.

 

Animi lässt sich aber auch auf den Mut beziehen, den viele aufstrebende Jazzmusiker benötigen, wenn sie die Qual der Wahl haben: zwischen der inspirierenden, aber auch anstrengenden Existenz eines Vollzeitmusikers und dem komfortableren, aber oft weniger aufregenden Leben eines Lehrers. Einav stand 2017 selbst vor diesem Dilemma, als ein angesehenes Musikinstitut in Südkorea dem Saxofonisten eine unbefristete Stelle anbot. Bevor er zusagte, spielte er ein Konzert. Die Aufregung und Spannung, die er während dieses Auftritts spürte und die Kameradschaft, die er unter den Musikern erlebte, bescherten Einav ein Gefühl von musikalischer Wiedergeburt. Daher schlug er den Weg als Musiker und Komponist ein. Eine Entscheidung die er seither nicht bereut hat.

 

Mit seiner Art des Improvisierens und Komponierens und seinen Eigenschaften als Bandleader bringt Shauli Einav frischen Wind in die Jazzlandschaft. Sein Stil ist ebenso einmalig wie eigenwillig. Er speist sich aus Einflüssen, der Ausdruck außergewöhnlichen Geschmacks ist und Wege jenseits ausgetretener Pfade auslotet. In seinem Spiel hört man unterschätzte Helden wie Harold Land, Lucky Thompson, Charlie Rouse, Booker Ervin oder Arnie Lawrence. Letzterer entwickelte sich zu einer wichtigen Bezugsperson, als Einav bei ihm ihn Jerusalem studierte.

 

Beim Komponieren und Arrangieren verarbeitet Einav viele Inspirationsquellen. Zu ihnen gehören die modalen Klangexperimente von George Russell ebenso wie die kräftigen Voicings, die Jason Lindner für seine Bigband geschrieben hat und die polyrhythmischen Zaubereien des Bassisten Avishai Cohen. Oder – wie Einav es formuliert – die „trügerische Wirkung, die Cohen mit Rhythmen erzielt. Du kannst sie singen und du kannst zu ihnen tanzen aber du errätst niemals, um welches Metrum es sich handelt.“ Vor allem jedoch ruft Animi Erinnerungen an die Ästhetik von Blue Note Records Mitte bis Ende der 1960er Jahre wach, als das Label legendäre LPs wie Eric Dolphys Out to Lunch!, Bobby Hutchersons Components, Grachan Moncur IIIs Evolution oder Andrew Hills Point of Departure herausbrachte. Allesamt abenteuerliche, gewagte Alben, auf denen Tradition und Innovation eine perfekte Balance eingingen.

 

Neben Einav am Tenor- und Sopransaxofon ist auch sein Langzeitgefährte Andy Hunter auf Animi zu hören: ein Posaunist, der schon in vielen namhaften Ensembles als Sideman zu hören war, darunter in der Mingus Big Band und bei Snarky Puppy. Aktuell ist er Mitglied in der renommierten WDR Big Band. Das Quintett komplettieren der Vibrafonist Tim Collins, der Bassist Yoni Zelnik und der hochgelobte Schlagzeuger Guilhem Flouzat – „ein französischer Drummer, der klingt als sei er aus New York“, schmunzelt Einav. 

Ein ideal besetztes Ensemble – flink, vielseitig und empfänglich genug, um ein derart dynamisches Repertoire anzupacken. Wie ein Weckruf oder – um es mit Einavs Worten zu sagen – „wie eine Warnung“ bricht das Titelstück über den Zuhörenden herein. Wenn Saxofon, Vibrafon und Posaune ausgelassen durch das Thema stürmen, wird deutlich, warum sich der Bandleader für diese Besetzung entschieden hat. Es klingt, als ob er für vier oder fünf Blechbläser komponiert. „Wie für eine kleine Bigband“, sagt Einav, „aber mit einer Klangfülle, die einen nicht überrollt und der Band ausreichend Freiheiten lässt.“

Dodo basiert auf der Akkordfolge von Lucky Thompsons Slam`s Mishap, während die Melodie von einer Improvisation stammt, die Dodo Marmarosa in den 1940er Jahren zu Thompsons Stück beisteuerte. Zu den Höhepunkten des Albums gehört auch Hasela Ha´adom – Einavs lyrische Interpretation eines israelischen Volksliedes, das einst kontrovers diskutiert wurde und eine fiktionale Geschichte über junge Männer erzählt, die auf ihrer Reise von Israel nach Petra in Jordanien ihr Leben riskieren.

One Step Up stellt einen musikalischen Gast vor – den brillanten Oud-Spieler Fayçal Salhi. Ein Instrument, das in der Zeit, in der Einav in Israel aufwuchs, allgegenwärtig war. Kumzits spielt ebenfalls auf Einavs Jugend an – mit einer Melodie, die den Duft israelischer Folkmusik verströmt.

Circadian Mishap basiert auf einer Komposition von Walt Weiskopf – Einavs Mentor an der Eastman School of Music und bezieht sich auf den Schlafmangel, der viele Eltern nach der Geburt ihrer Kinder ereilt. Healer Sue ist Einavs herzliches Dankeschön an Susan Presberg-Greene, einer befreundeten Akademikerin, deren Familie sich um ihn kümmerte, als er das Eastman College of Music in Rochester/New York besuchte. Ihr Vater veranstaltete regelmäßig Jamsessions, die Einav in Kontakt mit Musikern brachte, die mit den ruhmreichen Stücken des American Songbooks aufgewachsen waren. „Sie kannten wirklich jede Note und jedes Wort“, zeigt sich Einav bis heute beeindruckt. „Sobald wir eine Ballade spielten, konntest du fünf Bandmitglieder mitsingen hören.“

 

Der Saxofonist, Dozent und NEA Jazz Master Dave Liebman schwärmt: „Shauli ist ein sehr interessantes Album gelungen, das die Zuhörer fordert, aber zugleich leicht zugänglich ist. Gespielt von einer Band, die aus wunderbaren, jungen, talentierten Musikern besteht.“