Tom Arthurs Trio - One Year

Tom Arthurs Trio – One Year


Ozella   OZ077CD  / EAN 4038952000775 / Vertrieb: Galileo MC

LC 10268

 

Veröffentlichung: 09. Februar 2018

 

Komponieren wie Tarkovsky

Es ist nicht leicht, als Musiker die Zeit für die wirklich wichtigen Projekte zu finden. So nutzte Trompeter Tom Arthurs 2014 die unerwartete Chance, die sich ihm bot: „Ich habe damals eine Menge neue Musik auf dem Klavier geschrieben“, erinnert er sich über einer Tasse dampfenden Ingwer-Tees auf der Terrasse eines Kreuzberger Cafés, „Es war ein ruhiger Moment zwischen sehr stressigen Phasen. Manchmal habe ich dieses ganz bestimmte Gefühl, dass die Zeit gekommen ist, neue Musik zu schreiben. Dies war ein solcher Augenblick.“

Drei Jahre später erscheint nun endlich die Musik dieser kreativen Auszeit, realisiert mit einer neuen Trio-Konstellation. Dabei ergänzt der finnische Schlagzeuger Markku Ounaskari das Duo aus Arthurs und Pianist Richard Fairhurst. Die Klänge der Zusammenarbeit sind zerbrechlich und tief, geheimnisvoll und dunkel, sinnlich und verführerisch - und sie verbinden sich zu Arthurs' womöglich leisestem und intensivsten Werk bislang.

Obwohl Arthurs und Fairhurst bereits seit Jahren kollaborieren, fügte sich Ounaskari vollkommen natürlich in ihr Zusammenspiel ein: „Seit dem ersten Augenblick, als ich Markku am Münchner Flughafen in einer dichten Menschenmenge erkannte, dachte ich mir: Ich habe einen neuen Freund gefunden. Wir haben dann einige unterhaltsame Tage in Passau damit verbracht, nach Eis und Monokeln zu suchen. Seine Schlagzeug-Technik ist poetisch, sie ist nie von seinem Ego getrieben, er drückt niemandem seinen Willen auf. Sein Anschlag ist wirklich wunderbar. Er benutzt ein ganz besonderes Drum Kit, das unter anderem eine Konzert-Bass-Trommel beinhaltet.“

Nachdem Arthurs die Musik geschrieben und seine Band gefunden hatte, trafen sich die Musiker insgesamt nur drei Mal. Doch mit jeder Begegnung nahmen die Stücke deutlichere Konturen an. Ein wichtiger Aspekt war die Suche nach dem richtigen Timing. „One Year“ bewegt sich genau an der Grenze zwischen einem nahezu rhythmusfreien Ansatz und einer Performance, die gerade noch einen Puls hat, aber sich traumhaft langsam bewegt. Lange Erklärungen waren nicht notwendig, unter anderem auch deswegen, weil zwischen den neuen Stücken und Ounaskari's Folk-Bearbeitungen mit seinem Kuára-trio auf ECM eine verblüffende Ähnlichkeit besteht.

Der Entstehungsprozess von „One Year“ war ständig im Fluss. Manche Partituren wurden nur subtil verändert, bei anderen entstanden ganz neue Kompositionen. Arthurs hatte zu den Sessions nicht so sehr fertige Stücke, sondern Fragmente mitgebracht, die er nun in verschiedene Stücke einbauen konnte. Die Inspiration dazu hatte er einem seiner Lieblings-Regisseure entlehnt: „Ich war beeindruckt davon, wie Tarkovsky sein Meisterwerk „Der Spiegel“ geschnitten hat. Er hatte keine Geschichte, keinen Plan, kein Storyboard. Er hat einfach nur eine Menge Material gedreht und die Filmstreifen zwei Jahre lang an Wäscheleinen in seinem Haus aufgehängt. So hat er die Szenen in immer wieder neue Anordnungen gebracht, bis er irgendwann den gesamten Film zusammen hatte.“ Ein Beispiel für die Technik ist die Eröffnungs-Sequenz von „Evergreens“, die dem Groove eines älteren Stücks entlehnt ist. Woher aber weiß er, an welcher Stelle eine Passage passen könnte? „Du fühlst das in deinem Körper“, meint Arthurs nachdenklich und nimmt noch einen Schluck Tee, „Da nagt etwas an dir, bis die Balance endlich stimmt.“

So kann es kaum verwundern, dass auf einigen Stücken sehr unterschiedliche Ansätze direkt nebeneinander stehen, von reiner Klang(farben)kunst über die Ästhetik Feldman's langer Stücke bis hin zu dem Essentialismus der Berliner Reduktionisten, die ein Hauptgrund dafür waren, dass Arthurs überhaupt nach Berlin gezogen ist. Sogar Jazz spielt eine Rolle, trotz der oftmals negativen Assoziationen, die mit dem Begriff heute verbunden sind: „Ich habe mir irgendwann gesagt, dass ich mich nicht mehr davor fürchte zu sagen, dass ich Jazz mag. Der Begriff ist aber sehr spezifisch geworden. Mir gefallen auch heute noch ganz, ganz alte Sachen: Alter Miles, Roy Eldridge, sogar Louis Armstrong. Irgendwann hat sich der Begriff dann gewandelt und standen für mich eher Evan Parker oder die New Yorker Downtown Szene im Fokus.“

Doch sind es in gewisser Weise genau diese formalen Fragen, die auf „One Year“ bewusst in den Hintergrund gestellt werden. Vielmehr fühlt sich hier alles verbunden an und ist alles möglich, ist still wirklich das neue laut. Es ist eine dieser Platten, die sich so anfühlen, als könnte sie das eigene Leben verändern – wenn man denn die Zeit findet, sie in Ruhe an zu hören.

also available as Vinyl LP Label Ozella Lim. Edition, 180g