Vertigo Trombone Quartet - The Good Life

Vertigo Trombone Quartet - The Good Life

nwog records / Nwog 022 / Vertrieb: Edel Kultur

 

Veröffentlichung: 26. Oktober 2018

 

Wer möchte schon zweimal dasselbe Buch schreiben? Und warum sollte man zweimal dieselbe CD aufnehmen? Mit dem Album „The Good Life“ holt das Vertigo Trombone Quartett zwar zum zweiten Schlag aus, aber es schließt nicht einfach dort an, wo es 2014 mit „Developing Good Habits“ begonnen hat, sondern geht noch einmal komplett über Start. Die vier Posaunisten Nils Wogram, Andreas Tschopp, Bernhard Bamert und Jan Schreiner treten nicht nur als ausführende Musiker in Aktion, sondern übernehmen auch gemeinsam Verantwortung für die Kompositionen. Die individuellen Handschriften der vier Protagonisten bleiben zwar erkennbar, aber die Kompositionen stehen ungleich stärker im Vordergrund als auf dem Debütalbum. Oder um es mit den für ein Posaunenquartett im doppelten Sinne treffenden Worten von Nils Wogram zu sagen: „Alle kommen mit ihrer Stimme zum Zuge.“

 

Das Markenzeichen auf dem zweiten Album des Quartetts ist die Einheit, Stärke und Stringenz des inneren Zusammenhangs. Diese kohäsive Kraft beruht auf einer großen Dichte, die nicht via Konzept von außen übergestülpt worden ist, sondern sich von innen heraus ergeben hat. Die Band hat sich gegen eine bewusste konzeptionelle Ausrichtung entschieden, um sich nach allen Seiten freizuhalten. So beschreiben die beiden Titel der Vertigo-Alben präzise die Entwicklung der Band seit 2014. Das Motto „Developing Good Habits“ klingt wie das Manifest einer neuen Formation, die sich behaupten muss, „The Good Life“ ist das Bekenntnis zu einer Gelassenheit, mit der man einfach geschehen lassen kann, was sowieso passiert. „Auf dem ersten Album“, bestätigt Wogram, „ging es viel mehr darum zu zeigen, was wir in dieser Konstellation anbieten können, während wir es diesmal wesentlich entspannter angehen konnten.“

 

Diese Entscheidung war mit Risiko verbunden. Auf die eigene Kraft zu vertrauen und sich keinen roten Faden vorzugeben, könnte schließlich leicht auf Beliebigkeit und Eklektizismus oder einen kleinsten gemeinsamen Nenner hinauslaufen. Doch hier agieren vier Musiker auf absoluter Augenhöhe. Statt sich im Individuellen zu neutralisieren, arbeiten sie souverän die gemeinsamen Stärken heraus. Alle Stücke des Albums sind mit dem Bewusstsein entstanden, für diesen Kader geschrieben zu werden. Der Fokus war von Anfang auf das Gemeinsame, Verbindende gerichtet. Und die Rechnung geht voll auf. Als hätten sich Zauberhände über die vier separaten Notenblätter gesenkt, konvergierten die Stücke von Anfang an aus unterschiedlichen Richtungen aufs selbe Gravitationszentrum zu. Obwohl es sich um vier individuelle Komponisten handelt, wirken die Tracks in ihrer Gesamtheit wie eine in dieser Form von vornherein geplante Suite. Auf ihrem zweiten Album entpuppen sich die vier Mitglieder des Vertigo Trombone Quartets als Meister der intuitiven kollektiven Stringenz.

 

Im Mittelpunkt der CD steht sogar eine tatsächliche vierteilige Suite. Die von Bernhard Bamert komponierte „The Good Life Suite“ gab dem Album seinen Titel. Allerdings ist sie derart stimmig in die Schöpfungen der anderen drei Mitglieder integriert, dass der narrative Faden elegant von einem Komponisten zum anderen weiter gegeben wird. Anders als im landläufigen Jazz, in dem sich die Spannung erst aufbauen muss, bis der Klimax erreicht wird, offenbart sich das Momentum auf „The Good Life“ vom ersten Ton an, und die Spannung reißt in keinem Augenblick ab.

 

Einige Momente auf der neuen CD wirken kammermusikalisch, andere tendieren eher in Richtung Jazz oder Ambient, sofern man sich in der Topografie der Klänge überhaupt an derartigen Genre-Fixpunkte orientieren will. Zudem sind Vergleiche eines Posaunenquartetts wie Vertigo mit Streich-, Gitarren- oder Saxofonquartetten bereits zum Hinken verurteilt, bevor sie überhaupt laufen lernen. Das Vertigo Trombone Quartet ist weder das World Saxophone Quartet noch das Kronos Quartet. Von Anfang an ging es um die Frage, wie das Quartett seine eigenen Wege ausschreitet. Letztlich haben sich Wogram, Bamert, Tschopp und Schreiner gegen stilistische Festlegungen entschieden. Stattdessen wollten sie laut Wogram „einfach machen, ihre Vorlieben zulassen und sehen, was dabei rauskommt.“

 

Mit selbstironischer Nachdenklichkeit postuliert Wogram: „Eine Posaune ist eine Posaune. Es bringt nichts, anderen Instrumenten nachzueifern. Die Posaune hat ihre Grenzen. Diese gilt es zu akzeptieren. Wir wollen uns vor allem auf die Stärken des Instruments konzentrieren.“ Das Vertico Trombone Quartett definiert seinen eigenen Sound, der keiner Herleitung bedarf und ohne Aufkleber und Beipackzettel auskommt. Die vier Musiker bewegen sich mit der denkbar größten Freiheit innerhalb des nach allen Seiten offenen Rahmens, den sie sich selbst genuin geschaffen haben. Kein anderes Instrument ist der menschlichen Stimme so ähnlich wie die Posaune. Daraus kann man etwas machen. Im Chor der vier Blasrohre ergeben sich ungeahnte Zwischen- und Obertöne. Manches erinnert an Streicher, anderes an Keyboards oder Percussion, zumal auch Tuba, Melodica und dezente Percussion zum Einsatz kommen. In einigen Momenten glaubt man gar, eine volle Big Band zu hören.

 

Indem die vier großartige Musikanten zugleich die Limitierungen ihres Instruments akzeptieren und das Spektrum seiner Möglichkeiten erweitern, wird aus dem Zusammenspiel von vier Posaunen am Ende das Beste, was Musik sein kann.