Aki Takase Japanic – Thema Prima

Wie kann man die Geschichte eines Albums in Worte fassen, das seine Story schon selbst so plastisch erzählt, dass jedes Wort überflüssig ist? Auf „Thema Prima“, dem ersten Album von Aki Takases neuer Band Japanic, wird zwar kein einziger Ton gesungen, und doch entfalten diese Songs ihre eigenen Kulissen und Stimmungen, ihre Plots und individuellen Erzählstränge. In ihrer Gesamtheit des Albums wirken sie wie ein Tagebuch aus dem prallen Leben.

Aki Takase ist seit den 1980er Jahren eine der weltweit einflussreichsten Pianistinnen des Jazz. die musikalischen Partnerschaften der heute 70-Jährigen würden Seiten füllen. Das ist aber auch gar nicht notwendig, denn Aki Takase ist Aki Takase. PUNKT! Und ihr neues Album „Thema Prima“ ist viel mehr als nur eine weitere Veröffentlichung in einer langen Reihe musikalischer Statements, auch wenn diese es alle samt in sich haben. Wie das Band-Logo schon andeutet, stellt Japanic eine Verbindung zwischen ihrer alten und der neuen Heimat her. Japan ist bekanntermaßen eine Insel, die von allen Seiten vom Meer umgeben ist. Nach dem Erdbeben von Fukushima brach für viele Japaner eine schwere Zeit an. Auch wenn Aki Takase schon seit 32 Jahren in Berlin lebt, liebt sie ihre Heimat und ist ihr nach wie vor eng verbunden. „Thema Prima“ ist nicht zuletzt der Versuch einer weit gereisten Japanerin, die längst in Deutschland Wurzeln geschlagen hat, die Bevölkerung in Japan aufzumuntern. „Ich will mit dieser Musik zeigen, dass unsere Zeit nicht einfach ist, aber dass man trotzdem reich und fröhlich spielen kann“, so ihr Credo.

Das erste Wort, das sich angesichts dieser Musik unschwer anbietet, ist „vergnügt“. Diese Musik ist von einer ungemein jugendlich anmutenden, ansteckenden Lebensfreude. Aki Takases Sprache auf dem Klavier ist seit jeher von poetischer Wolllust und forscher Eleganz, stets sehr perkussiv und mit vielen Wechseln von Tempo und Dynamik. Sie versteht es, Neugier auf kurzen Wegen in Töne und Rhythmen zu übersetzen. Zuletzt hat sie hauptsächlich Musik großer Vorfahren des Jazz in ihren persönlichen Kontext übersetzt, unter anderem Fats Waller, Duke Ellington, Thelonious Monk, Ornette Coleman und Eric Dolphy. Dabei ist sie nie in der Vergangenheit stecken geblieben. Sie konnte sich noch so sehr auf ihre Vorbilder beziehen, sie ist doch zu keinem Zeitpunkt vor Ehrfurcht erstarrt, hat sich auch nicht nur mit ihrem Fingerabdruck begnügt, sondern diese Musik mit ihrer unverwechselbaren DNA versehen. Ob Ellington oder Monk, unter ihren Händen wurden es ausnahmslos ihre eigenen Stücke.

Für „Thema Prima“ hat sie wieder Lust bekommen, ihre eigenen Kompositionen zu schreiben. Wenn überhaupt, dann hat sie mit diesem Album einen Tribut an sich selbst entrichtet. Ihre Vergangenheit bleibt ihr nach wie vor wichtig, sie wirft dieses Paket keineswegs ab, aber sie vermittelt mit dieser quicklebendigen, urbanen Musik das Gefühl, dass sie unbeirrt nach vorn schaut und jeden Morgen ein neuer, einzigartiger Tag anbricht. Diese Neugier auf das Neue, noch Unbekannte, ist einmal mehr in jedem einzelnen Ton hörbar. „Ich habe in so vielen Projekte gearbeitet“, rekapituliert sie. „All diese Beiträge waren mir wichtig, sonst hätte ich sie nicht gespielt. Aber ich bin weder schwarz noch Amerikanerin, sondern eine Japanerin, die schon lange in Deutschland lebt. Ich spiele gern mit meinen europäischen und amerikanischen Kollegen. Mich beschäftigt die Frage nach meinem eigenen Beitrag. Es bringt doch nichts, irgendwas zu imitieren, mag es auch noch so gut sein. Welchen Punkt kann ich also selbst setzen? Ich kann nicht spielen wie Herbie Hancock, denn Herbie Hancock ist Herbie Hancock, und ich bin Aki Takase. Es gibt so viele wunderbare Musiker und Musikerinnen. Ich will aber schreiben, was ich fühle. Der Sinn steht mir nicht nach Sensationen, aber ich möchte interessant sein und mich selbst überraschen.“

Ein wichtiger Einfluss für das Album war der Amerikaner Conlon Nancarrow (1912-1997), den sie als ihren Lieblingskomponisten bezeichnet. Seine Kompositionen für mechanisches Klavier übersteigen alle menschlichen Parameter. In seiner Musik fühlte Aki Takase sich immer wie an einer Kreuzung, an der verschiedene Ströme in unterschiedlichen Tempi gegen- und nebeneinander laufen. In ihrer Wahlheimat Berlin wird sie oft an Nancarrows Musik erinnert, zum Beispiel, wenn sie tatsächlich an einer Straßenkreuzung oder einer Baustelle steht. Von Presslufthämmern, Autos, Menschen und Vögeln ist sie gleichzeitig mit einer Vielzahl von Rhythmen konfrontiert. Ihre Stücke strahlen von einer ungewöhnlichen Alltagskraft, die doch alles andere als alltäglich ist. Alles ist in Bewegung. „Ich liebe die Bewegung des Tanzes, schöne, geschmeidige Bewegungen“, frohlockt sie. „Wenn man unserer Musik zuhört, gerät etwas in Bewegung.“

Song für Song stellt sich das Gefühl ein, man würde die Haustür zur Welt öffnen, ohne zu wissen, was einen da draußen erwartet, aber von dem Reichtum der interferierenden Eindrücke überwältigt zu werden. Mit beiden Händen greift die Pianistin auf das Leben zu und löst starre Prinzipien wie Improvisation und Komposition in der puren Lust am Klang auf. „Noten sind wichtig, aber man sollte sie auch nicht überbewerten. Man kann aus Fragmenten von Musik gemeinsam etwas erarbeiten, aber trotzdem möchte ich jedes Mal neue Kombinationen dafür finden. Das Konzept ist sehr flexibel. Ein Stück oder eine Passage kann mal im Duo oder Trio, mal mit der ganzen Band oder solo erklingen. Je nachdem, was die jeweilige Situation erfordert.“

Ganz in diesem Sinne kann man „Thema Prima“ hören. Nichts scheint festgelegt. Auch beim zehnten Hören bleibt der Eindruck der spontanen Entscheidung immer noch erhalten, als würde man jeden Tag die selbe Straße überqueren, muss aber immer von einem anderen Verkehrsaufkommen abhängig machen, wann und wo genau man den Durchschlupf findet. Aki Takase schafft keine Musik für Kenner aus dem inneren Kreis der Jazzwissenden, sondern ihre Kreationen erschließen sich vorbedingungslos jedem, der sich dafür öffnet. Sie macht ein großherziges Angebot, ohne vom Hörer dafür etwas einzufordern. „Ich bin mir nicht sicher, ob ich wirklich eine Jazz-Musikerin bin“, sagt Aki Takase mit einem leichten Anflug von Ironie. „Ich bin Pianistin, aber ich liebe zeitgenössische Musik und Klassik. Techno ist nicht so meine Sache, aber ich höre viel originale Folklore. Ich liebe die Zithermusik von Anton Karras. Ich höre Musik nicht in Kategorien von Besser oder Schlechter. Interessante Musik ist immer interessant, egal, welchen Background sie hat.“

Nicht zuletzt ist „Thema Prima“ ein kohäsives Bandalbum. Japanic ist kein singuläres Projekt, sondern eine bestens aufeinander eingespielte Formation. Mit Saxofonist Daniel Erdmann, Bassist Johannes Fink, Drummer Dag Magnus Narvesen und DJ Illvibe hat Aki Takase ganz bewusst eine Schar wesentlich jüngerer Musiker um sich versammelt, um sich mit deren Gedankenwelt zu umgeben. Die lebensfrohe 70-Jährige will bewusst aus dem Kanon ihrer eigenen Generation ausbrechen. Mit jedem dieser Musiker verbindet sie ein Stück Lebensgeschichte. Erdmann war ihr Schüler, Illvibe ist ihr Stiefsohn, mit Fink hat sie viel zusammen gespielt, Narvesen schätzt sie wegen seiner Power, Sensibilität und inneren Freiheit. Der Drummer ist der Jüngste in der Band. Die Pianistin wollte wenigstens einen Newcomer an Bord haben. Gemeinsam greifen sie die Intentionen der Pianistin kongenial auf, leiten sie auf ihre eigenen Wege um und ab, um sich am Ende immer wieder auf dem Marktplatz der Band zu treffen.

Aki Takases Band heißt zwar Japanic, aber „Thema Prima“ gehört keinem Kontinent, keiner Generation, keinem Genre. Das beste Prädikat, das man ihr verleihen kann ist – Musik!

BMC / 5998309302688 / Vertrieb D: Note 1 Music   A: Videoland
Veröffentlichung: 26. April 2019

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