Esther KaiserWater

Das Prinzip aller Dinge ist Wasser.

If jazz has to be termed as a wave, then music is a sea, but if the reflectors in the water is the chord.“   – PAT METHENY

Die Stimmkünstlerin und Jazzvokalistin Esther Kaiser hat sich für ihr neues Album ein Thema vorgenommen, das – wie auch beim vielfach gelobten Vorgängeralbum „Songs of Courage – einen wichtigen Aspekt unserer Zeit anspricht, die ja ständig im Fluss ist, in der nichts beständiger ist als das Liquide, als das Verdampfen und Verflüssigen alles Festen und Traditionellen: Das Wasser. Esther Kaiser nimmt das antike und aus heutiger Sicht natürlich nicht wörtlich zunehmende Zitat von Thales von Milet daher als poetisch-metaphorisches Bild für Ihr Album: „Aus Wasser ist alles und ins Wasser kehrt alles zurück.“

So findet auch das musikalisch und textlich facettenreiche Thema des Albums immer wieder zu purer Klarheit und Leichtigkeit zurück, trotz der durchschimmernden gesellschaftspolitischen und klimabezogenen Dimension, die Kaiser in ihrer klug nuancierten Annäherung nicht außer Acht lässt.

Kaiser entführt auf diesem Album in einen gleichsam zeitgemäss-urbanen Sound, als auch in entrückte, fast schon feenhafte Klangwelten, dank dem Einsatz ungewöhnlicher Klangquellen wie der wassergetriebenen Glasharfe und den überaus spannenden musikalischen Gästen wie Marie-Christine Gitman an Oboe und Englischhorn, dem Berliner Streichquartett „Die Nixen“ und dem renommierten Trompeter und Multiinstrumentalisten Sebastian Studnitzky. Die Entstehung des Albums passt perfekt zur überlieferten Symbolik des Wassers, das in vielen Kulturen als Schwelle zwischen den (Traum-)Welten gilt.

„Im ersten Corona-Lockdown und in einer längeren Phase der Trockenheit im Frühjahr 2020, während derer ich zudem das Buch „Die Geschichte des Wassers“ der norwegischen Autorin Maja Lunde gelesen hatte, entstand der Song „Water“ praktisch im Schlaf“, erzählt Esther Kaiser über ihre erste initiale Inspiration zum neuen Album, die man als keines Traumprotokoll bezeichnen könnte. Und fügt hinzu:

„Ich träumte die Melodie und den kompletten Text des Refrains und schrieb die Idee sofort nach dem Aufwachen auf. Sehr schnell, beinahe wie nach einem Traumdiktat, schrieb ich das Stück dann fertig. Dazu gesellten sich schnell andere Kompositionen und Texte, die fast alle aus meiner Feder und aus der meiner langjährigen musikalischen Gefährten Tino Derado und Marc Muellbauer stammen. Sie handeln nicht alle explizit von Wasser, aber auf einer abstrakteren Ebene finden sich Bilder, Assoziationen und Analogien, die die Songs mit dem gemeinsamen Thema verbinden.“

In „Lament of the King´s Wife“ z.B. sind es die Tränen der verstossenen Königin die eine Verbindung zum Thema „Water“ herstellen. Jene verlor  – laut der alten bosnischen Ballade „Hasanaginica“ aus dem 17. Jahrhundert aufgrund dessen, dass sie ihren verwundeten Ehemann nicht auf dem Schlachtfeld besuchte ihre Ehe und ihre fünf Kinder. Esther Kaiser fragte sich nach dem Grund ihres Nicht-Erscheinens am Krankenlager ihres Mannes und ersann in ihren Lyrics zu Tino Derados Komposition eine Vorgeschichte, die in die eigentliche überlieferte Geschichte einführt. Die deutsche Nachdichtung der Ballade stammt übrigens von keinem Geringeren als von Johann Wolfgang v. Goethe, der ihr den Titel „Klaggesang von der edlen Frau des Asan Aga“ gab.

Der „Ocean´s Song“ greift das Bild des Ozeans auf als Urgrund des Lebens, in den man am Ende wieder hinabsinkt um schliesslich ganz eins mit ihm zu werden. Jedoch nicht ohne sich vorher noch einmal zu fragen, was man mit der geschenkten Lebenszeit eigentlich gemacht hat. Die Zeit spielt in Kaisers Texten ohnehin immer wieder eine hervorgehobene Rolle –  ihr  Vergehen, Fliessen und ihr Verflüchtigen:

„Time´s a river“ ist eine Einladung zum „Im Moment leben“ und zum Loslassen, so das eindringliche und mantra-artig wiederholte „Let go“ am Ende des Stücks, wie „The Ocean´s Song“ auch eine traumschöne Komposition von Tino Derado.

„The Red Sea“, eine düster-sphärische Ballade von Esther Kaiser, die knapp 20 Jahre in der Schublade lag bevor sie für dieses Album wieder zum Leben erweckt wurde, erzählt von der Trauer und inneren Verlorenheit eines Menschen, der dabei ist, eine schreckliche Gewalttat zu begehen –  ein „rotes Meer“. „Ich habe mich lange Jahre nicht getraut, diesen Song an mich und an das Publikum heran zu lassen, auch weil es ein schmaler Grad ist, wenn man versucht, sich in solch eine Person hineinzuversetzen. Dennoch haben wir es ja trotz allem mit einem Menschen zu tun. Ein Mensch der eine Geschichte hat, der auch einmal Kind war, der Hoffnungen und Träume hatte. Die Vorstellung dass womöglich ein kleiner, heller Moment, eine zärtliche Berührung oder ein Blick eines anderen Menschen diese Person noch einmal davon abhalten könnte Terror und Gewalt auszuüben, das hat mich beim Schreiben des Textes interessiert und berührt.“

Ohnedies hat Esther Kaiser ein Gespür für melancholische Momente, schafft es aber auch immer, eine Leichtigkeit in ihrer Musik zu bewahren. In „Duna“, einem Stück von Esther Kaiser das mit den warmen Klängen des Englisch Horns beginnt, geht es um Abschied und Verlust. Das Wort „Duna“,  teils auch überliefert als „danu“ bedeutet auf indogermanisch „Fluss“ oder „Flüssigkeit“. Namen grosser Flüsse wie z.B. die Donau und der Don leiten sich von diesem Wort ab.

 

Die weltweite Trinkwasser-Situation treibt Esther Kaiser in vielen ihrer Songs um: „Salty River“ hat hier eine zentrale Bedeutung und ist in zwei verschiedenen Versionen auf dem Album vertreten. Die erste Version (Track 5) lebt von einer sparsamen Instrumentierung im Duo mit Tino Derado am Akkordeon und Esther Kaiser am Synthesizer und Glockenspiel. Kaisers Text hat eine doppelte Bedeutung:  Einmal geht es im wörtlichen Sinne um die Versalzung eines ehemaligen Süsswasser-Flusses. Im metaphorischen Sinne geht es gleichzeitig um einen Fluss von Tränen. „Wie schon erwähnt hat mich das Buch „Die Geschichte des Wasses“ von Maja Lunde zutiefst berührt und betroffen. Der Song „Salty River“ entstand wohl aus einem inneren Bild, welches beim Lesen des Buches in mir entstanden ist. Ich bin besonders glücklich, das Stück in Form eines Epilogs in einer ganz besonderen Instrumentierung am Ende des Albums nochmal zu haben: Mit dem Streichquartett „Die Nixen“ in einem Arrangement von meinem langjährigen Freund und Schwager Sven Klammer und mit dem wunderbaren Sebastian Studnitzky an der Trompete“ erzählt die Sängerin.

 

„Ich bin überhaupt sehr happy über meine musikalischen Gäste auf diesem Album,“ sagt die Sängerin. „Es fügte sich im wörtlichen Sinne im Laufe der Albumproduktion „wie im Fluss“, dass ich die „Nixen“ während eines gemeinsamen Konzertprojektes u.Lg von Sven Klammer im Frühjahr 2021 kennengelernt habe; auch die Oboistin Marie-Christine Gitman trat während einer gemeinsamen Produktion Ende 2020 in mein Leben und ich wusste sofort, dass sie die Richtige für mein Stück „The Red Sea“ ist, welches ich mir von Anfang an mit Oboe vorgestellt hatte. Und mit Sebastian Studnitzky wollte ich schon lange etwas gemeinsam machen; ich habe mir genau seinen Sound und sein musikalisches Gespür für den Titelsong „Water“ und den Epilog „Salty River“ gewünscht – seine unverwechselbare Klangfarbe bildet praktisch den Rahmen des Albums.“

 

Ein weiteres markantes Klangmerkmal von „Water“ ist die sphärische, fast übersinnlich klingende Glasharfe, von Esther Kaiser selbst eingespielt. „Wenn man mich jetzt fragt, wie es dazu kam und ob ich das von Anfang an so für das Album eingeplant hatte, kann ich nur sagen: Nein, es war ein relativ spontaner aber umso zwingenderer Einfall den ich hatte, nachdem wir als Band bereits im Studio waren… Ich recherchierte eines Tages über das Thema „wasserbetriebene Instrumente“ und fand es plötzlich absolut zwingend, damit auf der Platte auch zu experimentieren. Das Thema „Wasser“ also auch im Klanglichen aufzugreifen, natürlich auch in dem Bewusstsein, dass das leicht ins Kitschige oder Esoterische abgleiten kann“ so Esther Kaiser weiter. „Ich hoffe, wir haben diesen schmalen Grad nicht überschritten“, lacht sie.

„Ich wollte auf diesem Album einfach viel mit neuen Klängen experimentieren; meine Komposition „The Sailor“ spiele ich als Solostück mit Synthesizer und stimmlichen Soundeffekten live genauso wie ich es auch für das Album eingespielt habe. Das ist für mich eine wunderbare Herausforderung und ein tolles Gefühl musikalischer „Selbstwirksamkeit.“

Wie auf ihrem Vorgänger-Album „Songs of Courage“ enthalten Kaisers Texte immer wieder auch politische Aussagen und teils scharfzüngige Kommentare, in denen sie sich selbst aber nie von der geäusserten Kritik ausnimmt.

In „Don´t we know better“, dem Song den Marc Muellbauer fürs Album beigesteuert hat, sieht man förmlich die von Kaiser angesprochenen populistisch-selbstgefälligen Staatenlenker, die unsensibel und respektlos mit Schönheit und Natur umgehen und lediglich ihren eigenen Profit im Sinn haben. Gleichzeitig wird die selbstkritische Frage gestellt „Would we do better – better than they do?“ – „Würden wir selbst es denn wirklich besser machen?“ Bei Esther Kaiser gehen gesellschaftspolitische Kritik und Selbstreflexion stets Hand in Hand. Es ist daher nur konsequent, dass das von Bass und Drums frei improvisierte Interlude vor Muellbauers Komposition mit seinem Titel „Die Flut“ Bezug auf die aktuelle Hochwasserkatastrophe von 2021 in Deutschland nimmt.

Zwischen den Songs des Albums stehen immer wieder kurze sogenannte „Interludes“, viele davon im Moment der Aufnahme frei improvisiert; manche wie z.B. der mit Loops und Kalimba solo eingespielte Miniatursong von Esther Kaiser mit dem Titel „Raindance“ fast eine Art mehrschichtiger, organisierter Klanginstallation.  Alle Interludes haben auf unterschiedliche Arten etwas mit Wasser im wörtlichen oder metaphorischen Sinn zu tun. So weisen auch die Titel dieser musikalischen Miniaturen immer wieder auf das Thema des Albums hin, wie z.B. „Vesi“ oder „Maji“: Auf Finnisch und auf Suaheli bedeutet dies: „Wasser“.

Album Line Up:

Esther Kaiser – voc/ synth/ perc/ glass harp

Tino Derado – piano/ accordion

Marc Muellbauer – double bass

Roland Schneider – drums

Gäste

Sebastian Studnitzky – trumpet

Marie-Christine Gitman – oboe/ English horn

Die Nixen* – strings

* Rahel Rilling-violin1, Katharina Wildhagen-violin2, Kristina Menzel-Labitzke-viola,
Nikola Spingler-cello

GLM / Fine Music FM 331-2 / LC11188 / 4014063433121 / Vertrieb: EDEL

Veröffentlichung: 04.03.2022

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