Eyal Lovett – Through The Rain

„Eine Reise in Richtung Hoffnung – aber auch in dunklere Gefilde.“ So beschreibt der israelische Pianist Eyal Lovett die musikalische Grundidee seines Albums Through the Rain. Lovetts Kompositionen sind lyrisch und ausdrucksstark – und sie verströmen eine große Dosis Wärme. Der in Dänemark lebende Pianist gilt als grandioser Geschichtenerzähler. „Während meiner Konzerte verrate ich dem Publikum immer, welche Erlebnisse mich zu den Stücken inspiriert haben. Und die Zuschauer sagen mir, dass diese Erklärungen enorm helfen, die Stücke besser zu verstehen.“

Through the Rain wurde live – ohne Publikum – eingespielt und besteht aus Eigenkompositionen und Bearbeitungen israelischer Melodien. In vielen der Stücke geht um Entfremdung und Entwurzelung. A Lost World etwa wurde von Stefan Zweig inspiriert – einem in Österreich geborenen, jüdischen Schriftsteller. 1934 musste er auf der Flucht vor den Nationalsozialisten seine Heimat verlassen – zunächst in Richtung England, später nach Brasilien. Diese traumatischen Erfahrungen, die ihn seelisch brachen, beschreibt Zweig in seiner Autobiografie „The World of Yesterday“. „In Brasilien übergab er 1944 das Manuskript an seinen Verleger, ehe er – zusammen mit seiner Frau – Selbstmord verübte. Sie hatten das Leben auf der Flucht einfach nicht mehr ausgehalten. Die Welt – wie sie sie einst kannten – existierte nicht mehr“, weiß Lovett.

Auch wenn der Pianist seine Situation mit der Zweigs nicht direkt vergleichen möchte, gibt es gewisse Parallelen. Denn auch bei ihm hat sich nach den Jahren in Berlin und Dänemark ein Gefühl von Entfremdung eingestellt. „Ich bin weder deutsch noch dänisch. Selbst in Israel fühle ich mich fremd, wenn ich dort Zeit verbringe. Denn das Land, so wie ich es kennengelernt habe, ist Geschichte. Deshalb war ich auch seit zwei Jahren nicht mehr dort, weil ich das Leben in Israel als anstrengend empfinde.“

Seine Stücke handeln zumeist vom Leben außerhalb Israels. Teach Me about Leaves entstand während seiner Zeit in Berlin und ist seinen Kindern gewidmet. „Wenn sie draußen spielen, bringen sie immer Stöcke, Blätter und was sie sonst noch so finden mit nach Hause“, schmunzelt der Pianist. „Vordergründig geht es um die Naivität der Kinder, die die Welt mit ihren Augen sehen. Naivität steht aber auch für eine gewisse Verletzbarkeit. Und sie wiederum ist eine Tür, durch die auch andere, dunklere Dinge Eintritt in unser Leben erhalten können“, erklärt Lovett.

Das Titelstück Through the Rain – in der Anmutung ruhig, schön und perkussiv – handelt von einer Partnerschaft, in der es kriselt. „Aber wenn man bleibt und sich bemüht, herauszufinden, was einen zusammenhält, kann man am Ende sogar gestärkt aus dieser Krise hervorgehen.“ Florentin ist eine Komposition, die schon auf dem Debut-Album des Pianisten zu hören ist. Ein heiteres, energetisches Stück, das häufig auf Konzerten zum Einsatz kommt. Florentin ist ein Stadtteil von Jaffa – im Süden von Tel Aviv. Die sich abwechselnden, komplexen Rhythmen stehen für die Wandlung, die der Ort erlebt. Einst sephardisch geprägt, wurde er von jungen Menschen und Künstlern entdeckt. Heute leben sie dort dicht an dicht mit jüdischen und arabischen Händlern, die Textilien und Möbel verkaufen.

Die andere Hälfte des Albums besteht aus Adaptionen bekannter israelischer Stücke. Aus ihnen sickert Sentimentalität aus nahezu allen Poren, gibt Lovett zu. „Man könnte guten Gewissens `Heimweh` auf das Albumcover schreiben“, findet er.

Mit Hofim (Das Ufer) beginnt und endet das Album. Der Text aus der Feder von Nathan Yonatan beschreibt, „wo Meer und Land sich vereinen“ oder „wo man sich selbst begegnet.“ Ein lyrisches Solo-Klavierstück, das zwischen Klassik und Jazz pendelt.

Die bekannteste Version von Shir Tishrey stammt von der israelischen Folk-Sängerin Chava Alberstein. Tishrei ist der erste Monat im jüdischen Mondkalender, der stets in den September oder Oktober fällt. „Es ist ein Stück, in dem es um Hoffnung und Wandel geht, wenn Ende des Sommers die Temperaturen fallen. Dann stehen die wichtigsten jüdischen Feiertage bevor und die Bauern sehnen den Regen herbei“, erklärt Lovett.

Ata Mitorer (Erwachen) ist eine Komposition, die die Singer-Songwriterin Rona Kenan für ihren Vater – einen berühmten Journalisten und Schriftsteller – geschrieben hat. „Er litt an Alzheimer. In dem Stück geht es darum, in einem leeren Bett aufzuwachen, in dem das Kopfkissen immer noch warm ist. Letztlich handelt es vom Niedergang und Zerfall eines imposanten Menschen.“

Ein Gedi wurde von zwei Teenagern in den 1950er Jahren über das Kibbutz am Toten Meer am Rande der Judäischen Wüste geschrieben. „Eine wunderschöne Komposition über einen wahrlich magischen Ort. Wenn ich diese berühmten Stücke spiele, bin ich jedes Mal tief bewegt“, bekennt Lovett und erklärt: „Wenn ich sie spiele, erreichen sie direkt mein Herz, das in solchen Momenten förmlich zu singen beginnt. Sie sind mir sehr vertraut und bedeuten mir so viel. Die Musik und ich verschmelzen dann zu einer Einheit.“

Lovetts Trio, das von Aidan Lowe am Schlagzeug und Jan Sedlák am Kontrabass komplettiert wird, vermengt Elemente aus Klassik und Jazz mit Rhythmen aus Nordafrika und dem Mittelmeerraum. Wenn er über seinen Drummer spricht, hagelt es Elogen. „Aidan begleitet mich seit zehn Jahren. Er ist der einzige Schlagzeuger, mit dem ich mir überhaupt vorstellen kann, dauerhaft Musik zu machen. Er hat diese einmalige Kombination aus feinem Gespür und Musikalität. Oft hat man den Eindruck, dass er etwas ‘unterhalb‘ der Musik spielt – was für einen Schlagzeuger ungewöhnlich ist.“

Der tschechische Bassist Jan Sedlák ist ein vielversprechender Neuzugang im Trio. „Jan sprang für ein Konzert in Berlin ein. Er lernte binnen kurzer Zeit alles auswendig, so dass wir auf Anhieb gut zurechtkamen. Mit jedem Mal, das wir zusammenspielen, wird er besser und reifer. Ein ausgesprochen positiv eingestellter, entschlossener junger Mann!“

Mit Through the Rain ist dem Trio ein überaus würdiger Nachfolger ihres hochgelobten Debuts Beyond Good and Evil (erschienen bei BERTHOLD Records) gelungen. Ein ebenso tief- wie feinsinniges Album. Musikalisch brillant umgesetzt, in der Wirkung beruhigend und ausgewogen, aber stets überraschend und voller neuer Ideen.

https://www.eyallovett.com/         https://www.berthold-records.de/

Berthold Records /  4250647321068   /  LC27984 / Vertrieb: Cargo

VÖ: 25.02.2022

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