Fette Hupe – Modern Tradition

Moderne Musik – aufgenommen in altem Gewand. Das ist der Ansatz, den die Bigband Fette Hupe auf ihrem neuen Album Modern Tradition verfolgt hat. „Wir wollten ein traditionelles Setup zum Einsatz bringen, so ähnlich, wie es Duke Ellington in den 1960er Jahren verwendet hat. Mit Hilfe eines analogen Mischpults zum Beispiel und speziellen Mikrofonen, um einen ‘älteren‘ Sound zu erzeugen. Die Stücke selbst sind modern – daher auch der Albumtitel Modern Tradition“, erklärt Jörn Marcussen-Wulff, der im Ensemble mehrere Ämter in Personalunion vereint – nicht nur als Dirigent, sondern auch als Komponist und Arrangeur vieler Stücke. Darüber hinaus ist er zusammen mit Schlagzeuger Timo Warnecke Leiter der Fetten Hupe.

Solche Liveaufnahmen nach der alten Methode sind eine enorme Herausforderung, zumal wenn es sich – wie in diesem Fall – um eine Premiere handelt. „Zum Glück hatten wir den exzellenten Tontechniker Oliver Bergner an unserer Seite, so dass es eine einmalige Erfahrung für uns alle wurde“, blickt Marcussen-Wulff auf die Aufnahmen zurück und ergänzt: „Da wir kaum Möglichkeiten hatten, im Nachgang Schnitte oder andere kosmetische Reparaturen vorzunehmen, mussten wir vor den Aufnahmen sehr genau und zielgerichtet proben. Das hat mir Spaß gemacht, mich als Bandleader aber auch vor Herausforderungen gestellt. Zum einen musste ich eine gute Energie für das Live-Konzert herstellen, auf der anderen Seite aber auch darauf achten, dass die Aufnahmen erfolgreich im Kasten landeten.“

Gegründet wurde die Fette Hupe im Jahr 2009 in Hannover von Marcussen-Wulff und Warnecke. Ziel der Bigband war es von Anfang an, mit ihrer Musik auch junge Zuhörer zu erreichen, die normalerweise wenig bis gar nicht mit Jazz in Berührung kommen. „Deshalb tragen wir auf der Bühne auch keine schnieken Anzüge, sondern tragen ganz normale Kleidung“, unterstreicht Marcussen-Wulff. Musikalisches Wohnzimmer der Fetten Hupe ist die „Faust Warenannahme“, die zum Kulturzentrum „Faust“ in Hannover gehört. Dort wurde auch Modern Tradition eingespielt.

Wenn die Bigband dort vor Publikum spielt, sind die Sets üblicherweise zweigeteilt. Während in der ersten Hälfte Bigband-Standards aus den 1950er und 1960er Jahren dominieren, gerät die zweite Hälfte meist deutlich experimenteller. „Dann stehen schon mal kompliziertere Stücke, z.B. aus dem Freejazz-Universum, auf der Setliste. Eine Mischung, die sich für uns bewährt hat. Denn die älteren Besucher, die wegen der ersten Hälfte kommen, bleiben dann oft auch noch für den zweiten Teil. Und die jüngeren Besucher, die vor allem neugierig auf die zweite Hälfte sind, hören sich vorher den ersten Teil an“, weiß Marcussen-Wulff. Die Folge: ein für Jazzverhältnisse ungewöhnlich gemischtes und offenes Publikum.

Diese gelungene Mischung aus alt und neu ist auch auf den Stücken des Albums zu hören. Die Kompositionen stammen überwiegend aus den Federn von Marcussen-Wulff und dem Pianisten Eike Wulfmeier, dem „Meister der Melodien und Harmonien“, wie ihn Dirigent Marcussen-Wulff beschreibt. „Eike ist ein großartiger Musiker. Kein typischer Arrangeur für Bigband-Stücke, denn er entscheidet und schreibt nach dem, was er hört und nicht nach dem, was vielleicht normalerweise richtig wäre. Das macht ihn und seine Arbeit so besonders, ich liebe die Art, wie er phrasiert“, sagt Marcussen-Wulff.

 

Beyond Speaking ist so eine typische Wulfmeier-Komposition – mit langsamer Melodie, die ruhig und entspannt daherkommt, aber doch voller Energie steckt.

Bling Bling hat Marcussen-Wulff „dem fantastischen Bigband-Komponisten und -Arrangeur Bob Brookmeyer gewidmet. Wer für große Jazzensembles schreibt, kommt an ihm nicht vorbei. Er war ein Meister seines Fachs und so etwas wie der Duke Ellington der modernen Bigband-Welt. Er hat seinen Stücken Titel wie ‘Ding Dong Ding‘ oder ‘Boom Boom‘ gegeben, deshalb habe ich meines ‘Bling Bling‘ genannt. Es ist zwar meine Komposition, sie basiert jedoch auf einem Brookmeyer-Song.“

Bob’s Sunday „ist eine weitere Komposition zu Ehren von Brookmeyer und eines weiteren Helden von mir. Duke Ellington hat den Song ‘Come Sunday‘ geschrieben, eine wunderschöne Ballade. Von Brookmeyer stammt das Stück ‘First Love Song‘. Es ist also eine Verbindung aus beidem und meiner Musik.“

Raubein Romantik ist eckig und kantig, jedoch mit swingendem, tanzendem Grundcharakter.

De leste Dans (plattdeutsch: Der letzte Tanz) stammt vom Gitarristen der Band, Klaus Spencker. „In einem seiner anderen Projekte verbindet er Jazzkompositionen mit plattdeutscher Lyrik. Dieses Arrangement stammt von Tini Thomsen – einer Saxofonistin aus Lüneburg, die aber mittlerweile überall auf der Welt spielt. Sie ist einfach einmalig. Wir baten sie, das Arrangement zu schreiben und sie hat einen fantastischen Job gemacht hat. Klaus ist wahnsinnig gut darin, schöne und lange Melodiebögen zu entwickeln, die das Publikum auf eine weite Reise mitnehmen. Ziemlich cool!“

Outburst stammt aus der Feder von Eike Wulfmeier und steckt voller Energie und Geschwindigkeit. Es beginnt mit Klavier und Flügelhorn und klingt am Schluss, „als ob die gesamte Band das Haus abfackelt, während die Rhythmusgruppe einen hochintensiven Drum’n’Bass-Groove spielt.“

In der Rolle des Bandleaders sieht Marcussen-Wulff viele Parallelen zum Job eines Lehrers. „Im Grunde ist eine Bigband eine Diktatur, in der es kleine Inseln der Demokratie gibt“, erklärt er. „Allein die Gigs und Förderungen zu organisieren, erfordert schon enorm viel Zeit und Einsatz. Man muss aber auch ein Bandgefüge entwickeln, in dem jeder seinen Platz hat. Insgesamt ist es eine Mischung aus Komponieren, Zusammenspielen und Improvisieren. Alle Bandmitglieder sind professionelle Musiker, die auch noch andere Verpflichtungen haben. Daher sind wir stolz darauf, dass wir allen eine mehr oder weniger faire Gage zahlen können. Für eine deutsche Bigband aus der unabhängigen Jazz-Szene ist das wirklich ungewöhnlich.“

Das Jahr 2020 steht für die Fette Hupe ganz im Zeichen des Projekts „Open Society“. Die kommenden Konzerte sind ein Bekenntnis zu einer toleranten, multikulturellen Welt. „Wir beobachten genau, was im Moment passiert und uns ist klar, dass wir etwas dagegen tun müssen“, stellt Marcussen-Wulff klar. „Als Künstler können wir entsprechenden Einfluss nehmen, wenn wir möglichst viele Menschen ansprechen. Das wollen wir erreichen, indem wir unsere Reichweite vergrößern und künftig auf noch mehr Festivals spielen. Die Welt, in der wir leben, ist aus den Fugen geraten. Deshalb müssen wir alles tun, damit sie lebenswert bleibt. Wir selbst legen zum Beispiel großen Wert darauf, dass alle unsere Produktionen so nachhaltig wie möglich sind.“

In ihrem Heimatland hat sich die Fette Hupe landauf landab bereits eine treue Fangemeinde erspielt. Neben musikalischen Heimspielen in der „Faust Warenannahme“ hat die Bigband auch schon auf internationalen Festivals gespielt, darunter der „Jazz Baltica“ oder dem „Jazzfest Delmenhorst“. Ihr starkes soziales Engagement kombiniert mit ihrem mitreißenden Repertoire macht die Fette Hupe zu einem der außergewöhnlichsten und hörenswertesten Ensembles der Jazz-Szene.

BR 320016 / Berthold Records /4250647320016 / LC 27984 / Vertrieb: Cargo

 Veröffentlichung: 28. Februar 2020

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