Francesca Gaza – Kugelförmigkeit
Eine harmonische Verbindung zwischen scheinbar entfernten Gestaltungsprinzipien in einer genreübergreifenden Ästhetik : Francesca Gaza setzt mit ihrem neuen Album einen Kontrapunkt zwischen/zu einem zeitgenössischem Unbehagen einerseits und einem romantischen, trostsuchenden Wunsch nach Stillstand und Einheit auf der anderen Seite.
Stellen wir uns vor, wir befinden uns im Zentrum einer Kugel und können die Oberfläche dieser Kugel an jedem beliebigen Punkt berühren. Stellen wir uns vor, dass die Oberfläche verschiedene Zeitpunkte der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft repräsentiert. Egal, wohin wir uns entscheiden zu greifen, wird die Entfernung dieselbe bleiben, also gleich weit oder nah von uns entfernt sein.
‚Kugelförmigkeit‘ ist das Album/Werk der Komponistin, Sängerin und Pianistin Francesca Gaza (*1995), das sie für ein von ihr zusammengestelltes 10-köpfiges Ensemble komponiert hat und in welchem sie Instrumente und Techniken aus der Renaissance, dem Barock, des Jazz und der Moderne miteinander kombiniert. Die Musik offenbart eine harmonische Verflechtung scheinbar entfernter Stilmittel aus welchen sie eine kohärente «Post-Genre» Musiksprache entwickelt.
Sie ist vor dem Hintergrund der aktuellen globalen Pandemie als Meditation über das Verhältnis von Zeit und Mensch komponiert worden und reflektiert über jenes Zeitbewusstsein, welches den Eintritt in verschiedene Lebensstufen kennzeichnet.
„Mein Wunsch war es, ein exzentrisches Ensemble zu gründen, das Instrumente und Performer miteinander kombiniert, welche es in dieser Aufstellung noch nicht oft gab. Ich liebe den individuellen Klangcharakter und die historische Dichte der Instrumente und wollte etwas für diese schreiben was auf eine äußere historische Kohärenz verzichtet aber einen inneren Sinnzusammenhang durch meine persönlichen Stileinflüsse, Affinitäten und Gedanken vermittelt“, antwortet Francesca Gaza auf die Frage nach dem Hintergrund der Entstehung dieser Aufnahmen.
Die Musik der 25-jährigen Künstlerin steht sinnbildlich für eine aufstrebende Generation und Gemeinschaft von Komponisten und Interpreten, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, traditionelle und überholte Genre-Unterscheidungen zu umgehen und Musik ohne Mauern machen.
Francesca Gaza experimentiert mit einer zeitgenössischen Pop-Herangehensweise, verbindet ihre Jazz-Wurzeln mit barocken Strukturen und Renaissance-Kontrapunkt und bildet so einen eigenständigen Klangkörper, der ganz zum Hinhören einlädt.
Darin bezieht sie andere Künstler und Künste aus verschiedenen Epochen ein, die sich auf ihre ganz eigene Weise mit der Komplexität der Zeitform auseinandergesetzt und dadurch ihre Arbeit beeinflusst haben, wie der Poet Giovanni Boccaccio, der Schriftsteller Lewis Carroll, die Komponisten Olivier Messiaen und Carlo Gesualdo, der Dichter T.S. Eliot, sowie der deutsche postmoderne Komponist Bernd Alois Zimmermann. Letzterer erfand den Begriff der Kugelgestalt der Zeit, um ein dramaturgisch ausgestaltetes Zeitkonzept zu entwickeln, in welchem alle Musiken und Zeiten in der fließenden Gegenwart zusammenfließen.
In Gazas ‚Kugelförmigkeit‘ findet man eine Komposition, die von T.S. Eliots epochalem Langgedicht „Four Quartets“ inspiriert ist, lauscht einer Melodie von Carlo Gesualdos „Miserere“ Madrigal oder entdeckt ein von Orlando di Lasso inspirierten Kontrapunkt (Bicinium aus dem 16.ten Jahrhundert.
Die Zeit kreuzt sich mit dem Zeitlosen, so wie sich die Barockflöte elegant um den warmen Klang der Bassklarinette und der Posaune windet. Nebenbei dialogieren Klavier und Cembalo mit den teils groovigen, teils schwebenden Schlagzeug- und Basslinien und die Melodien der Stimme werden von dem lamentierenden Pathos der Viola da Gamba getragen.
Zugleich verbirgt und offenbart die elektrische Gitarre eine poetische Nostalgie der Renaissance Theorbe, einer Art großer Laute, in welcher die Musikerin besonderen Charme sah: «Die Verbindung dieser beiden Saiteninstrumente ist eine meiner Lieblingsmerkmale der Klangfarbe des Albums. Während des Kompositionsprozesses wurde es zu einer Art Leitmotiv, an welchem ich mit Verbundenheit festhielt»
Francesca Gaza wuchs zwischen München und Florenz in einem dreisprachigen Haushalt auf und wurde seit dem frühen Kindesalter in klassischem Klavier unterrichtet, während sie gleichzeitig in ihrer Schulbigband aktiv war. Danach zog sie nach Italien, um an der Siena Jazz University Jazzgesang und Klavier zu studieren. Die 25-Jährige schloss in Basel ihr Kompositionsstudium ab, in welchem sie sowohl im Jazz als auch in Renaissance- und Barocksatzlehre und zeitgenössischer Musik bei Guillermo Klein und Lisette Spinnler ausgebildet wurde. Nun setzt sie ihr Studium in Komposition, Sound-Design und Gesang fort.
Ein Album, in dem die Nähe von Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft erforscht und aufgehoben wird und so Genre-Grenzen umgeht. Unsere Zeit kann das gut gebrauchen: Musik ohne Mauern.
Whales Records / WR21FG010 / EAN 0798190 197906
Vertrieb: Whales Records / whalesrecords.bandcamp.com
Veröffentlichungstermin: 25. Juni 2021