Frank Wingold Entangled Trio – Hiatus Blues
Ein intellektuell anspruchsvolles Album, das auch große Unterhaltung liefert. Raffinesse und Interaktivität, gegenseitiges Verständnis und mühelose Virtuosität kennzeichnen dieses Trio
Die Musik des Gitarristen Frank Wingold ist gleichermaßen temperament- wie anspruchsvoll und elegant. Für sein neues Album Hiatus Blues – mit Bassist Robert Landfermann und Schlagzeuger Jonas Burgwinkel – hat er alle Stücke selbst geschrieben. Hiatus Blues ist auch der Opener des Albums, ein, wie er erklärt, „24-taktiger Blues mit großen Lücken zwischen den Melodiefragmenten, die sich allmählich füllen, während sich Melodie und Improvisationen entwickeln.“ Obwohl er kein Wissenschaftler ist, basieren viele seiner Ideen auf physikalischen oder chemischen Prinzipien. „Winzig kleine Elemente wie z.B. Moleküle, können erheblichen Einfluss auf Prozesse nehmen. So ähnlich ist es in der Musik auch – die vermeintlich kleinen Lücken bieten erstaunlich viel Raum für Kreativität“, erklärt Wingold.
Das Stück Nucleus erforscht die Idee von Molekülen, die sich erhitzen und auf Chaos zusteuern. „Hier arbeite ich mit komplementären Melodien zwischen Bass und Gitarre“, erklärt der Komponist.“ Es beginnt einfach, dann werden immer mehr Töne hinzugefügt, bis es extrem dicht und fast unspielbar wird. „Robert Landfermann ist einer der wenigen Kontrabassisten, die ich kenne, die dies so virtuos und dennoch mit der notwendigen Leichtigkeit spielen können.“ Am Ende des Stücks, nach den Improvisationen, dreht sich der Prozess um, das erhitzte Material kühlt ab und es werden immer weniger Noten gespielt, bis letztlich alles im Stillstand erstarrt. Wingold erinnert sich an ein Konzert mit einem Professor für Quantenmechanik im Publikum. „Bei meinen Ansagen war ich etwas verunsichert, aber er war ganz entspannt und fand meine künstlerischen Bezüge zur Wissenschaft sehr inspirierend.“
Raffinesse und Interaktivität – das sind die Kennzeichen des Trios, dessen Spiel von gegenseitigem Verständnis und müheloser Virtuosität geprägt ist. Stücke wie Torque sind kraftvoll wie ein schnurrender Motor, während Horror Vacui die Furcht vor der Leere, dem Weltall und dem Abgrund aufgreift. „Ich mag dieses Stück sehr, weil es stellvertretend für die Art steht, wie ich komponiere. Am Anfang steht nur eine Note, die nach und nach aufgefüllt wird. Darüber schwebt eine einfache Melodie, während Kontrabass und Schlagzeug eigene Linien in Form melodischer Kaskaden spielen, die immer weiter abwärts in extreme Tiefen wandern. So als ob man in ein schwarzes Loch oder in die Hölle hinunterblicken würde, in einen Ort, der außer Dunkelheit nichts zu bieten hat.“
Flare hingegen ist eine viel leichtere, wirbelnde Melodie. „Fast minimalistische Musik, sehr repetitiv“, sagt der Komponist, „und für die Abwechslung auf dem Album gibt es auch Agitango, ein vom Tango inspiriertes Stück.“
Wingold versteht seine Musik sehr visuell, in grafischen Strukturen und Texturen. Seine Technik als Gitarrist unterscheidet sich von der traditionellen Herangehensweise an die E-Gitarre. „Mit Daumen-Pick und verstärkten Nägeln schlage ich mit allen Fingern an, sogar mit dem kleinen Finger. Ich spiele eine siebensaitige Gitarre, daher muss ich mit einer zusätzlichen Saite umgehen.“ Die 7. Saite ermöglicht ihm eine viel größere Bandbreite und den Zugriff auf tiefere Töne, was einen pianistischen, orchestralen Ansatz ermöglicht.
Wingold ist Professor für Jazzgitarre an der Hochschule Osnabrück. Den Studierenden verschiedene Techniken beizubringen, bereitet ihm viel Freude. Dabei legt er Wert darauf, sie in keine bestimmte Richtung zu drängen. „Das wäre doch absurd, ihnen zu verbieten, mit der traditionellen Technik zu spielen. Ich möchte ihnen lediglich Alternativen zeigen und sie ermuntern, alles Mögliche auszuprobieren.“
Wingold wuchs mit der Musik von Blues und Ragtime-Gitarristen auf, später kam die klassische Gitarre dazu, daher seine Liebe für Mehrstimmigkeit und subtile Texturen. Die damit verbundene Komplexität vermittelt er mit Gefühl und Glanz, was er auf „Hiatus Blues“ – zusammen mit seinen Trio-Kollegen – einmal mehr eindrucksvoll beweist. Ein intellektuell anspruchsvolles Album, das auch große Unterhaltung liefert.
Berthold Records BR 323161 / LC 27984 / 4250647323161 / Vertrieb: Cargo
VÖ: 29.03.2024