Grégory Privat – Soley

In Zeiten zunehmender Abgrenzung brauchen wir Musik, die die Tür wieder ein Stück aufstößt und uns Mut und Zuversicht verleiht. Der aus Martinique stammende und in Paris lebende Pianist Grégory Privat beschenkt uns mit solch einem Sound auf seinem neuen Album „Soley“. Gegenüber seinem letzten Album „Family Tree“, das immerhin schon vier Jahre zurückliegt, ist dieses neue Kapitel ein riesiger Sprung. Damals hat er sich mit großer Virtuosität innerhalb des Rahmens bewegt, den der Jazz vorgibt. Auf „Soley“ spielt er einfach Musik, und Jazz ist eine der Komponenten. „Ich wollte mich nicht nur auf Jazz fokussieren, sondern versuchte mich selbst an der ganzen Bandbreite der Musik zu erfreuen. Ich beziehe mich genauso auf den Pop wie auf die Klassik, und Jazz ist natürlich nach wie vor ein wichtiger Bestandteil. Ich habe angefangen zu singen und kann meine Musikalität damit auf andere Weise nutzen. All das war genauso aufregend wie Angst einflößend.“

Die für einen Jazzmusiker ungemein lange Spanne zwischen „Family Tree“ und „Soley“ begründet Privat mit dem Reifeprozess, der für ein konzeptionell derart dichtes Album notwendig ist. Er wollte nicht nur spielen, sondern eine Aussage treffen und mit seinem Trio musikalische Grenzen überwinden. Das behauptet freilich fast jeder Musiker von sich, aber der Überzeugungstäter Privat hat wirklich hart an sich gearbeitet, um mit neuen Ausdruckmitteln die Komfort-Zone zu verlassen. Der verspielte Routinier, der gern so oft wie möglich über Start geht, spielt hier nicht nur Klavier und elektronische Keyboards, sondern er hat auch seine Stimme entdeckt, die er zart aber selbstbewusst in seinen Sound einflicht. Mit seinen beiden Kompagnons, Bassist Chris Jennings und Drummer Tilo Bertholo, steckt er das Spektrum der Klangmöglichkeiten so weit, dass er nicht selten den Eindruck vermittelt, sie würden zu fünft oder noch mehr aufspielen. „Nicht nur ich, sondern wir alle wollen unsere gewohnten Kontexte aufbrechen. Chris benutzt viele unterschiedliche Pedale, um den Sound zu modifizieren. Er kann die Tonhöhe verändern und klingt zuweilen wie ein Gitarrist oder Keyboarder. Ich selbst spiele Keyboards und singe. Auch Tilo arbeitet mit vielen Effekten. So konnten wir uns gegenseitig fortwährend überraschen.“

Dieses Überraschungsmoment geben sie ohne Abstriche an den Hörer weiter. In der Jazzwelt wimmelt es von Piano-Trios, Grégory Privat wollte für sein Trio neue Aufstellungen und Möglichkeiten finden. So klingen die drei Musiker in jedem Song wie eine andere Band, und trotzdem ist ihre dominante musikalische DNA fortwährend spürbar. Das Album funktioniert wie ein Zyklus von Kurzgeschichten, die jeweils ihrem eigenen Plot folgen, in ihrer Gesamtheit aber ein gemeinsames Panorama bilden. Die zentrale Botschaft, die von alledem ausgeht, lautet „Freiheit und Zuversicht“. Soley, das titelgebende Wort des Albums, ist ein kreolischer Ausdruck für Sonne. „Das steht für Spiritualität, Optimismus, Licht und Energie, die zu dir kommen. Diese Botschaft will ich mit meiner Musik fühlbar machen. Musik ist mein Weg zu meditieren und mich gut zu fühlen. Für mich war es nicht einfach, für so viele Songs unterschiedliche Orchestrierungen zu finden. Ich hatte Angst, mit der Diversität den roten Faden zu verlieren. Aber am Ende dachte ich, genau so muss es funktionieren.“

Das Ergebnis gibt ihm Recht, zumal gerade die Vielfalt von Privats Musik den Hörer auf ganz unterschiedlichen Einfallswinkeln erreicht. All die in den Sound eingebetteten Farben und Düfte kann man sehen und riechen. Auf der Haut spürt man die unterschiedlichen Temperaturen und Oberflächen des Klangs, und die mannigfaltigen Tempi übertragen sich auf Muskeln und Gelenke. Nicht zuletzt kann man den Subtext der Songs lesen wie in Klang transformierte Bewusstseinsströme. „Soley“ spricht tatsächlich alle Bereiche der Imagination und Physis des Hörers an. „Musik steht für die unterschiedlichen Aspekte des Lebens“, bestätigt der Pianist. „Das Leben steckt voller Farben und Dynamik. Wenn ich ehrlich zu mir selbst sein will, dann muss ich divers sein.“

Diese Diversität hat aber auch noch eine andere Wurzel, die der virulenten Lebendigkeit des Albums eine zusätzliche Dimension verleiht. Die ehrliche Verhandlung zwischen der vergänglichen Realität des Augenblicks und der gespeicherten Erinnerung beruht auf der Biografie des Pianisten. Grégory Privat lebt und arbeitet im multikulturellen Schmelztiegel von Paris, und doch bleibt in seiner Musik stets die Umgebung seiner Heimat Martinique hörbar. Lange Zeit fühlte er sich unwohl bei dem Gedanken an die Vielschichtigkeit seiner Herkunft, da seine Vorfahren aus allen Ecken der Welt kamen. Solange er auf der Karibikinsel lebte, machte er sich über diesen Umstand keine Gedanken, aber nach seiner Ankunft in Paris drängte sich plötzlich die Frage seiner familiären Einordnung auf. Es kostete ihn Zeit und Kraft zu akzeptieren, dass er mit seiner multiplen Identität nicht allein ist und die Diversität seines Stammbaums die individuellen Stärken seiner Kunst bedient. Nicht umsonst lautete der Titel seines letzten Albums „Familiy Tree“, aber auch auf Soley greift er dieses Thema in einem Stück wie „DNA“ auf. „Ich spiele mit Musikern aus der ganzen Welt und kann ihre Kultur fühlen. Martinique hat zwar seine eigene Musiktradition, aber ich will auch all die anderen Dinge, die auf der Welt passieren, ausdrücken können. Zu wissen, dass all diese Linien bereits in mir angelegt sind, ist für mich ungemein hilfreich.“

Grégory Privat ist ein Erdenbürger, der ganz bewusst im irdischen Hier und Jetzt Musik für diesen Planeten spielt. Die Offenheit, Fabulierlust und unvoreingenommene Leichtigkeit seiner Erzählungen reicht über alles hinaus, was man von einer CD erwarten kann. „Soley“ ist kein Musikalbum im herkömmlichen Sinne, sondern ein Schauplatz, auf dem sich eine komplette Klangwelt entfaltet.

www.gregoryprivat.com

BJ0115-1 / Buddham Jazz / 3521383458044 / Vertrieb: Broken Silence
Veröffentlichung: 27.03.2020

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