Hans Anselm Quintett – A Permanent Place in Between Poles of Existence
Dieses zweite Album geht vielleicht eher in die Richtung moderner Jazz/elektronischer Pop – sowohl warm wie auch düster. Die Musik bleibt konstant, ohne auf einen dramatischen Höhepunkt zuzusteuern
Obwohl die Herkunft des Bandnamens lieber ein Mysterium bleiben sollte, hat sich Hans Anselm mittlerweile zu einem ständigen Begleiter des gleichnamigen Quintetts entwickelt. Ein imaginärer Freund, der die Band bewacht, inspiriert, in Aufruhr versetzt und dennoch eint. „In jüngster Zeit habe ich ihn kaum gesehen. Er befindet sich in einer Art Winterschlaf-Modus, aber ihm geht‘s gut und manchmal besucht er mich in Stockholm“, verrät Pianistin und Bandleaderin Anna Wohlfarth, die mit Gitarrist Benedikt Schnitzler die Stücke für das neue Album komponiert hat.
Auf den Albumtitel A Permanent Place in Between Poles of Existence hat sie eine Bekannte gebracht. „Als sie unsere Stücke hörte, hatte sie den Eindruck, dass wir uns zwischen zwei Sphären befinden. Das hat viel in mir ausgelöst“, erinnert sich die Pianistin. In der Tat changiert die Musik zwischen verschiedenen Farben und Stimmungen, ist sowohl warm wie auch düster. Sie bleibt konstant, ohne auf einen dramatischen Höhepunkt zuzusteuern. Was auf das Publikum konzeptionell durchdacht und entspannend wirken mag, doch dies lag nicht in Wohlfarths ursprünglicher Intention. „Unser letztes Album klang mehr nach Modern Jazz, dieses geht eher in die Richtung elektronischer Pop“, erklärt sie und ergänzt: „Wir mögen es, wenn sich Klänge und Muster wiederholen. Es darf aber nicht zu mechanisch wirken. Deswegen bauen wir kleine, manchmal etwas schräg anmutende Wechsel ein.“
Besonders deutlich wird dieser Ansatz in Stücken wie „Room“ und „Endless“, in denen die sich wiederholenden Patterns in wunderschöne Melodien münden. Ausgangspunkt von „Shadows“ war die Melodie, die zu Beginn weder Beat noch Rhythmus hatte. „Die Komplexität entsteht durch Überlappungs- und Mehrschicht-Effekte in der Melodie“, erklärt Wohlfarth. In „Spine“ dagegen fallen die kräftigen, akzentuierten Beats sofort ins Ohr. „Ich stelle mir immer vor, dieses Stück nachts in einem Techno-Club zu spielen. Das wäre mein Traum. Hier ist alles vorgegeben und auskomponiert“. Inspiriert wurde der Titel von Gitarrist Schnitzler, den zu dieser Zeit heftige Rückenschmerzen plagten.
„Sculptures“ ist das einzige Vokal-Stück des Albums. „Wir hatten schon länger mit dem Gedanken gespielt, gesungene Stücke zu veröffentlichen, wollten die Idee aber erst einmal testen.“ Ihre Wahl fiel auf Max Grüner, unter anderem Sänger bei der Leipziger Band Collector. „Da ist etwas in seiner Stimme, das mich anspricht und direkt zu mir durchdringt. Das geht mir grundsätzlich so mit Stimmen, die zwar nicht erstklassig ausgebildet sind, dafür aber lebendig, natürlich und authentisch klingen.“
„Immanence“ fällt unter die Kategorie „just for fun“. „Wir hatten während der Aufnahmen dermaßen viel mit Overdubs und Klängen experimentiert, dass wir dachten: okay, warum machen wir nicht einfach ein komplettes Stück in der Art?“ Wer genau hinhört, erkennt die vielen unterschiedlichen Details in dieser fließend anmutenden Komposition.
„Rivers“ – den Epilog des Albums – hat die Band schon vor neun Jahren geschrieben. „Es ist das einzige Stück aus dieser Zeit, von dem wir noch nicht genervt sind“, gibt Wohllfarth zu. „Ursprünglich war es ein ziemlich normaler, Modern Jazz-Song, aber wir haben ihn ein bisschen verändert, so dass er jetzt langsamer geworden ist und leicht verstimmt klingt“, so die Pianistin.
Obwohl sie eigentlich aus Berlin kommt, entschied sich Wohlfarth vor drei Jahren, ihren Wohnsitz nach Stockholm zu verlegen. „Nach Skandinavien hat es mich irgendwie schon immer gezogen. Warum genau, weiß ich nicht, vielleicht liegt die Antwort in meinen Genen? Ich war zuvor niemals dort, wusste nach meiner Ankunft aber sofort: hier muss ich bleiben!“ Ermüdungserscheinungen, die sich nach vielen Jahren in Berlin zeigten, mögen ihren Teil zur Entscheidung beigetragen haben. Künstlerisch hat ihr der Umzug jedenfalls gutgetan. Das beschauliche Schweden – mit seiner weiten Natur, den Bergen, Wäldern und der sauberen Luft – hat einen unüberhörbaren Einfluss auf ihre Musik.
Da die anderen Bandmitglieder (Gabriel Rosenbach/Trompete, Arne Imig/Kontrabass, Leon Griese/Schlagzeug) allesamt in Deutschland wohnen, reist Wohlfarth für Konzerte und Aufnahmen aus Skandinavien an. Liveauftritte empfindet sie als besonders prägend und wichtig für die Weiterentwicklung des Ensembles, ebenso wie Feedback aus dem Publikum. „Viele unserer Besucherinnen und Besucher beschreiben unsere Musik als sehr cineastisch, visuell und ehrlich – was mich sehr freut. Sie können ihre Augen schließen und dabei Natur- oder Filmszenen an sich vorbeiziehen sehen. Unsere Musik lässt viel Raum für Fantasie und persönliche Interpretation.“
Sie sieht das Hans Anselm Quintett als ein Lebensprojekt, das sich stets weiterentwickelt. Man darf also mit weiteren Alben rechnen und – bis es so weit ist – sich an den Feinheiten, der warmherzigen Atmosphäre und Originalität von A Permanent Place in Between Poles of Existence erfreuen.
Berthold Records BR324021 / LC 27984 / 4250647324021 / Vertrieb: Cargo
VÖ: 23.02.2024