Johannes Bigge Trio – Clay

Eine prallvolle Tafel berauschender Melodien. Der natürliche Flow ist eine Qualität, die das Johannes Bigge Trio von Anbeginn auszeichnet und es scheint, als wäre diese Musik schon immer da gewesen

Drei Freunde machen gemeinsam Musik. Sie klingt so selbstverständlich, leicht und dynamisch, als würde niemand die Tasten, Saiten oder Sticks berühren, sondern als wüchse die Musik wie das Moos oder Gras einfach aus sich selbst heraus. Dieser natürliche Flow ist eine Qualität, die das Johannes Bigge Trio von Anbeginn auszeichnet, sich aber auf dem neuen Album „Clay“ noch einmal mit der vollen Kraft der genuinen Schöpfung manifestiert. Sie klingt neu und frisch, und doch erweckt sie allein aufgrund der Tatsache, dass man sie hört, bereits vom ersten Ton an den Eindruck, schon immer dagewesen zu sein.

Trotz leicht veränderter Besetzung schließt das Johannes Bigge Trio mit „Clay“ genau dort an, wo es 2018 mit dem letzten Album „Imago“ aufgehört hat. Pianist Bigge, Bassist Robert Lucaciu und Drummer Moritz Baumgärtner zaubern eine prallvolle Tafel berauschender Melodien, von deren Suchtpotential die drei Traumwandler sich aber nie so weit verführen lassen, dass sie sich ihnen völlig hingeben würden. Jede Melodie ist der Nährboden, aus dem sofort die nächste Melodie erwächst. Es ist eine fortlaufende Abfolge von Werden und Vergehen, die in jedem Augenblick gespannt macht auf das, was als Nächstes geschieht. Zur Verspieltheit von „Imago“ gesellt sich auf „Clay“ auch ein Moment der Wucht, das für neue Kontraste und Reibungspunkte sorgt.

Der Titel des Albums lautet nicht umsonst „Clay“, also Ton im Sinne von Modelliermasse. Die Songs entstanden 2022 während einer Periode, in der für das Leipziger Trio keine Gigs auf dem Plan standen. Stattdessen gab es über das Jahr verteilt eine Reihe von Proben. Bigge brachte am Anfang des Jahres ein paar Stücke mit, die sich bei jeder Probe ein wenig veränderten wie eine Skulptur, die über einen längeren Zeitraum immer mehr Gestalt annimmt. „Clay“, so Bigge, „steht für den Übergang von etwas Unkonkretem in etwas Konkretes. Auch andere Titel des Albums wie ‚Sweet Daydream‘ versinnbildlichen den Übergang vom Traum in die Realität. ‚In My Mind’s Eye‘ symbolisiert gewissermaßen die verschiedenen Schichten des inneren Auges in Bezug auf die Wirklichkeit. Es geht um diese Übergänge verschiedener Zustände und Wahrnehmungsebenen.“

Trotz oder vielleicht auch gerade wegen dieser metaphysischen Unschärfe der Titelgebung spielt das Trio mit einer bemerkenswerten Klarheit, die nicht zuletzt auf das Vokabular von Bigge selbst zurückgeht. Wer dem Fluss seiner Inspiration einmal gefolgt ist, wird seinen kristallinen Ton in seinem kleinteiligen, fast schon molekular anmutenden Fluss auf Anhieb wiedererkennen. Johannes Bigge muss nicht für jedes Album ein neues Vokabular erfinden. Seine Sprache ist so facettenreich, seine Fabulierlust so ausufernd, dass er mit diesem Fundus tausend Platten einspielen könnte, ohne sich jemals zu wiederholen. Johannes Bigge selbst gebraucht ein anderes Bild: „Die Landschaft ist da, ich muss sie nur jedesmal neu kartografieren. Ich weiß immer, wohin ich will, aber erst im konkreten Kompositionsprozess manifestieren sich die Stücke.“

Zwar sorgt Johannes Bigge für die kompositorischen Grundlagen, und doch hat man bei dem Selbstlauf seiner Songs nicht selten das Gefühl, nicht Musiker spielen die Musik, sondern die Musik spielt die Musiker. Dieser Eindruck ist nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass die drei Freunde selbst unglaublichen Spaß miteinander haben und der ganzen Musik etwas sehr Musikantisches geben, welches man so im zeitgenössischen Jazz nur selten findet. Bigges Kompagnons sind am Modellieren der gemeinsamen Knetmasse entschieden beteiligt. Oder um im Bild zu bleiben, die Songs fordern von jedem der Drei genau jenen Beitrag, der die Skulptur komplett macht. „Ich konnte wachsen sehen, wie die Musik zwischen uns entsteht“, schwärmt Bigge retrospektiv. Wenn man das Trio schon auf „Imago“ mit einem gleichseitigen Dreieck vergleichen konnte, trifft das auf „Clay“ umso mehr zu. Die Intentionen der drei Beteiligten verschmelzen derart organisch ineinander, dass es streckenweise schon kaum noch eine Rolle spielt, wer was spielt, denn es geht immer ums gemeinsame Ganze.

So funktionieren die Songs zumeist wie offene Gespräche zwischen drei Gleichgesinnten, bei der die Präzision des Ausdrucks und die Lust am gegenseitigen Austausch sich gegenseitig bedingen. Bigge setzt nicht auf Akkordblöcke, sondern auf ein Gewebe von Stimmen, die sich der Dynamik des Lebens folgend weiterentwickeln und dem eigenen Impuls vertrauen. Für das Ohr erfolgt daraus das permanente Bedürfnis eines imaginären Mitsingens, wobei Bigge, Lucaciu und Baumgärtner dem Hörer in der Dichte ihrer spielerischen Motive kaum Zeit geben, situativ zu verinnerlichen, was sie selbst bereits längst verinnerlicht haben. Lässt man sich auf das subtile Spiel dieses weiteren Zwischenzustands im Sinne des Albumtitels ein, lösen die daraus resultierende Transparenz und Transzendenz in jeder Hinsicht Glücksgefühle aus.

Ohne in irgendeiner Weise Popmusik zu spielen, folgt das Johannes Bigge Trio oft der Logik von Popmusik. Die Songs haben einen verblüffenden Ohrwurm-Charakter, wobei sich genau diese Einprägsamkeit zu großen Teilen aus dem Sound der Band ergibt, der auch noch lange nachhallt, wenn die Musik bereits verklungen ist. Womit wir wieder bei der Modelliermasse wären. Anders als in Kompositions- und Produktionsprozessen oft üblich, reichern Bigge und Co. ihre Songs nicht permanent an, sondern dünnen sie so weit aus, bis nur noch genau das übrig ist, was gesagt werden muss. Das erleichtert auch für Außenstehende ungemein den Zugang zu dieser Musik, ganz egal ob man nun mit Jazz, Pop, Klassik oder dem Rauschen von Bächen und Wäldern sozialisiert ist. „Wenn ich ein Stück schreibe, dann probiere ich so lange alles aus, was nicht funktioniert, bis nur noch das übrig ist, was Sinn ergibt“, fasst Johannes Bigge zusammen.

Jetzt ist „Clay“ da, und es scheint, als wäre diese Musik schon immer da gewesen. Sie hat nur darauf gewartet, dass Johannes Bigge, Robert Lucaciu und Moritz Baumgärtner kommen, um sie zu Leben zu erwecken. Und genau so soll es sein.

Nwog records CD  nwog057  / LP nwog058 / LC 77779 /   4015698253375 /  Vertrieb: Indigo / Kontor (Digital)

Indigo CD253072

VÖ: 15.3.2024

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