KEMACA KINETIC – Zukunft

Im Rückgriff auf die Jazz-Tradition: Das dänische Trio spielt rocklastigen Fusionjazz. Komplex, mit strahlender musikalischer Intelligenz gespielt und trotzdem direkt ins Herz.

 

‚Zukunft‘, das Titelstück des Debüts von Kemaca Kinetic, tastet sich zuerst vorsichtig stolpernd hin zu einem Rhythmus, da hört man dann automatisch genauer hin – und schon hat die Band einen an den Ohren. Das Stück kommt ins Pulsieren. Immer wieder zerfasernde rhythmische Muster erzeugen einen Sog, wie so oft in der Musik dieses Trios im Wechsel zwischen zarten und drängenden Passagen. So konzentriert und verdichtet geht es weiter: „Dapo“ fährt sphärische Gitarrenbögen auf, dazu schält sich mit zunehmender Vehemenz und Geschwindigkeit ein Beat an die Oberfläche. Ein melodiöser Hochgeschwindigkeitsbass kommt dazu und verwandelt das Stück in ein Groove-Monster – um immer wieder in leise, tastende Passagen abzugleiten und dann eine Schippe mehr draufzulegen.

Das alles geschieht im Rückgriff auf die Jazz-Tradition: Das dänische Trio spielt rocklastigen Fusionjazz. Ein Strang der Jazz-Geschichte, der aktuell eher selten eine prominente Rolle im Jazz-Geschehen spielt, aber hier auf eine irgendwie magische Weise wieder frisch wirkt und gar nichts historisiertes mehr hat. Das Album heißt „Zukunft“, und das passt, denn diese Musik hat nicht nur etwas radikal Gegenwärtiges, sondern wagt sich in neue Sphären vor. Erstaunlich auch, dass diese maximal verdichteten Stücke dabei immer klingen wie aus dem Ärmel geschüttelt. Das funktioniert bei einem balladesken Stück wie „Esthernity“ genau so wie im fast zehnminütigen „1.000 Days“, das die Rockkeule auspackt und das Haus abreißt.

Die Intensität entsteht hier vor allem, indem das Trio alles am Rhythmus ausrichtet. Auch die virtuosen Hochgeschwindigkeitssoli des Gitarristen Casper Hejlesen sind immer, außer wenn sie passagenweise ins Offene ausbrechen, an den treibenden Patterns, Loops und feinsten Verschiebungen orientiert, die der Drummer Matias Fischer und Bassist (und Komponist) Kenneth Dahl Knudsen gemeinsam bauen. Was hier am Schlagzeug passiert, steht dem, was Phil Collins ab Mitte der Siebzigerjahre bei Brand X gespielt hat, an Komplexität und Intensität in nichts nach.

Kemaca Kinetic fabrizieren einen unheimlich intensiven Jazzrock, der bei aller Virtuosität nie verkopft wirkt. Vielleicht auch, weil die Ideen dieser Stücke nicht allein aus der Komposition kommen, sondern auch aus spielfreudigen Improvisationen heraus entstanden sind. Die Musiker arbeiten als Jazz-Historiker, die die Verbindung von Jazz- und Rockmusik neues Leben einhauchen. Was man eigentlich als musikhistorische Episode der Siebziger- und Achtzigerjahre meinte abhaken zu können, klingt mit einem Mal, als sei es gestern erst erfunden worden. Komplex, mit strahlender musikalischer Intelligenz gespielt und trotzdem direkt ins Hörerherz. Elektrifizierter Jazz, der elektrifizierend wirkt.

 

BERTHOLD records         LC 27984                           Vertrieb: Cargo

CD: BR323130 / EAN: 4250647323130                LP:  BR323239 / EAN: 4250647323239

VÖ: 29.09.2023

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