Klara Finck – Recuerdo

Ein Album, so komplex und wechselhaft und doch auch oft so simpel wie das Leben selbst, auf dem sich am Ende jede offene Parabel zu einem Kreis schließt und alles einen Sinn ergibt. Und ein ganz eigener Ansatz zum Thema ‚Chanson‘ (weil auf Spanisch).

Lieder sind wie Menschen. Sobald sie in oder auf der Welt sind, kann man sich nicht mehr vorstellen, es könnte sie jemals nicht gegeben haben. Allerdings gibt es zwei Dinge, die Lieder Menschen voraus haben. Ein guter Song ist immer ein guter Song, und nicht zuletzt deshalb ist er unvergänglich.

Die Multiinstrumentalistin, Schauspielerin, Poetin, Sängerin und Songerfinderin Klara Finck ist weit gereist, in unterschiedlichsten Kontexten aufgetreten und hat auf der ganzen Welt einen unermesslichen Schatz von Liedern absorbiert, bevor sie „Recuerdo“ aufnahm. Das war beileibe kein Schnellschuss, denn die einfühlsame Allrounderin gibt sich nicht mit einfachen Lösungen zufrieden, auch wenn am Ende alles ganz leicht klingen mag. In seinem lebendigen Facettenreichtum könnte das Album das „Best-Of“ einer langen Reihe erfolgreicher Veröffentlichungen sein. In Wirklichkeit handelt es sich um Klara Fincks Debütalbum. Die Lieder sind so farbenfroh instrumentiert, dass man sich schwer entscheiden kann, ob es sich um die sprießende Buntheit des Frühlings, die grelle Farbverschwendung des Sommers oder die impressionistischen Lichtspielkulissen des Herbstes handelt.

Antwort geben vielleicht die Texte. Klara Fincks Auslassungen und Reflexionen beschreiben eine innere Entwicklung. Handeln die ersten Lieder noch von Trauer, Verlust und unerfüllter Sehnsucht, tendiert die Stimmung im weiteren Lauf des Albums immer stärker in Richtung Hoffnung, Ankunft und Erfüllung. Nichts in diesem Liederzyklus ist zufällig, alles ist an seinem Platz, und die Kontraste, die zuweilen zwischen den Texten und der Musik aufkommen, sind überaus gewollt, verheißen sie doch kreative Spannung und die Freiheit zur individuellen Auslegung. „Von der ersten zur zweiten Hälfte der Platte vollzieht sich ein Wandel, der sich auch in mir selbst vollzogen hat“, resümiert die Regisseurin und Hauptdarstellerin des Albums. „Erst verliert man etwas und empfindet diesen Verlust als schwer, doch dann gewinnt man die Liebe und das Vertrauen ins Leben zurück, wie auch die Kenntnis, dass man sich mit den eigenen Gedanken seinen Weg malen kann. Das Album als
Ganzes beschreibt vom ersten bis zum letzten Song einen durchgehenden Prozess. Ich empfinde diesen ganzen Ablauf als eine Art Reinigung.“ Nicht selten stellt sich beim Hören das Gefühl ein, die Arrangements würden die sehr verwundbaren Texte umarmen, um sie zu beschützen und zuweilen auch zu trösten. Wie kaum eine andere Künstlerpersönlichkeit versteht sich Klara Finck darauf, auf vollendete Weise über das Unvollendete zu singen.

„Ich kann einfach nichts halb machen.“ Was aus ihrem Mund fast wie ein Geständnis klingt, ist im Grunde Klara Fincks größte Stärke. „Ich habe eigentlich schon vor vier Jahren genau gewusst, wie dieses Album werden soll. Genau genommen habe ich das Album zweimal aufgenommen, aber erst beim zweiten Mal klang es so, wie es sich schon seit Jahren in meinem Kopf angehört hatte. Ich komme vom Theater, und deshalb ist mir die Dramaturgie sehr wichtig. Wahrscheinlich ist das Album deshalb in sich so geschlossen.“

Die Song-Poetin scheut sich nicht, ihre Lieder unter der liebenswert altmodischen, aber überaus stilvollen Überschrift Chanson zu verorten, denn sie sind von der Doppelbödigkeit eines Georg Kreisler ebenso geprägt wie vom französischen Chanson oder der kubanischen Trova. Das Chanson ist für sie der unmittelbarste Weg, Gefühle und Gemütszustände über ihre Stimme und die dazu notwendigen Kulissen ins Bewusstsein ihrer Hörerinnen und Hörer zu transportieren. Klara Finck gestaltet einen Freiraum, der Gehörtes fühlbar macht. „Das Chanson hat ja einen sozial- und gesellschaftskritischen Unterton. Meine spanischen Lieder sollten ursprünglich nicht politisch werden, und doch tauchen diese Momente nun verhalten auf. In Südamerika gibt es die Trova, die dem Chanson inhaltlich und auch hinsichtlich der Vortragsweise sehr ähnlich ist. Diese Verbindungen fand ich gerade wegen der großen räumlichen Distanz sehr spannend. Deshalb fand ich es stimmig, meine eigenen Lieder als spanische Chansons zu definieren.“

Nun stellt sich natürlich die Frage, wie aus all den genannten Elementen der Klara-Finck-Stil wurde. Wichtige Inspirationsfiguren sind für sie unter anderem der kubanische Liedermacher Silvio Rodriguez und die spanische Sängerin Silvia Pérez Cruz. Klara Finck hatte klassische Musik, Songwriting und Filmmusik studiert, lebte in Frankreich und Spanien, akkumulierte hier und dort zahlreiche Einflüsse, um ebenso viel Gepäck wieder abzuwerfen und am Ende punktgenau bei sich selbst anzukommen. Vieles passiert bewusst, anderes intuitiv. „Ich habe das Gefühl, mir in meiner Musik jetzt der Person sehr ähnlich zu sein, die ich vor 20 Jahren war. Zwischendurch habe ich Vieles ausprobiert. Jetzt erlebe ich es zum ersten Mal, dass ich ein ganz freies und authentisches Gestalten meiner Musik ausleben kann und darf. Vor einiger Zeit arrangierte ich ein paar Orchesterstücke für das Filmorchester Babelsberg und machte die erfreuliche Entdeckung, dass das für mich wie Malen ist. Gerade ist einfach ein Zeitpunkt, an dem Vieles zusammenfindet.“

Entsprechend zielsicher greift Klara Finck auf einzelne Instrumente zu. Jede Klangquelle hat ihre eigene Farbigkeit. Mit sicherer Hand trennt sie diese Farben hier mit scharfen Konturen, um sie im nächsten Song wie in einem Aquarell ineinander laufen zu lassen. Im ersten Durchlauf arrangierte Klara Finck die Songs eher sporadisch und spielte das ganze Album innerhalb einer Woche ein. Unzufrieden mit dem Ergebnis, nahm sie sich für den zweiten Anlauf wesentlich mehr Zeit, arrangierte die Songs präzise und überließ nichts mehr dem Zufall. Viele Instrumentalstimmen spielte sie selbst ein, eine Reihe von Gästen kam hinzu.

Auf Bildern im Internet sieht man die Sängerin oft mit Akkordeon, und auch auf „Recuerdo“ sollte ursprünglich viel davon zu hören sein. Doch diesem Unterfangen stellte sich die Liebe zum Klang eines Streichquartetts in den Weg, das hier zärtlich die Stimme umgarnt, um dort in aufmüpfigem Pizzicato um einen Song herumzutanzen. Spurenelemente des Akkordeons geben dem Album trotzdem noch ein besonderes Odeur. Ein einziges Instrument kann bei Klara Finck zum Orchester werden, während ein ganzes Bündel von Klängen sich zu einer einzigen Stimme verschlanken kann. Oft scheint sie auf ihren Instrumenten mehr zu schweben oder zu tanzen, als sie physisch zu spielen.

„Ich sehe, wie das Leben sich wandelt, und wandle im Leben“, lautet das Credo von Klara Finck. In weniger als vierzig Minuten beschreibt „Recuerdo“ eine Lebensreise. Was die warmherzige Künstlerin für sich selbst als Wegweiser markiert, ist für das unbefangene Ohr ein zuverlässiger Wegbegleiter voller Hoffnung und Nachdenklichkeit für unterschiedlichste Lebenslagen und Gefühlszustände. Ein Album, so komplex und wechselhaft und doch auch oft so simpel wie das Leben selbst, auf dem sich am Ende jede offene Parabel zu einem Kreis schließt und alles einen Sinn ergibt.

CD: 0730706002779 / Vinyl: 0730706002793 / Digital: 0730706002786

KlaraFinck / LC 24625  / Vertrieb: Recordjet (digital) / bandcamp / klarafinck.com

Veröffentlichung: 16. Juli 2021

Fotos I Cover