Luise Volkmann Autochrom – RGB

Wie bringt man drei komplementäre Elemente so in Übereinstimmung, dass ein neues symbiotisches Ganzes daraus entsteht? Ein Verfahren der frühen Farbfotografie gibt Aufschluss.

Die auf die Gebrüder Lumière am Anfang des 20. Jahrhunderts zurückgehende Technik „Autochrome“ basiert darauf, dass aus der Rasterung der drei Farben Rot, Blau und Grün alle anderen Farben abgeleitet werden und so komplexe Farbfotos erstellt werden können. Autochrom heißt auch das neue Trio der Saxofonistin Luise Isabel Volkmann mit Bassistin Athina Kontou und Schlagzeuger Max Santner. Alle drei sind weit gereist. Luise Isabel Volkmann kommt aus Bielefeld, lebte kurz in Berlin und lang in Paris, um über Kopenhagen und Leipzig in Köln zu landen. Athina Kontou hat griechische Wurzeln, wuchs in Frankfurt am Main und Athen auf und lebt heute in Leipzig. Max Santner stammt aus Österreich und hat seine Sticks in Berlin ausgepackt. Drei Lebenswege, die in Autchrom zu einem gemeinsamen Erzählstrang gerastert werden.

Die Musik von Autochrom lässt sich am besten mit einer komplementären Symbiose beschreiben. Was liegt also näher, als das gemeinsame Debütalbum „RGB“ zu betiteln? Volkmann selbst steht dabei für Rot, Kontou für Grün und Santner für Blau. Ausgangpunkt für das Trio war Luise Volkmanns Großformation été large, mit der die Komponistin und Saxofonistin 2017 das epische Album „Eudemonia“ rausbrachte. Auch da erwies sie sich bereits als grandiose Geschichtenerzählerin. Mit Athina Kontou hatte sie schon zuvor in mehreren Projekten zusammengearbeitet. Es war nur logisch, dass die Bassistin mit dem großen Überblick fürs große Ganze auch zu été large gehörte. Den verschmitzten Pointillisten Santner lernte sie durch été large kennen. Als sie sich nach dem großen für das kleine Format entschied, nahm sie die beiden auf den neuen Weg mit. Topografisches, Biografisches und Persönliches verdichtet sich auf „RGB“ zu einer feinkörnigen Momentaufnahme, in der sich jeder einzelne Aspekt im Gesamtbild auflöst. „Berlin, Leipzig und Köln sind wichtige Stationen in meinem Leben“, resümiert Luise Volkmann. „Meine musikalische Entwicklung in Deutschland hat sich zu großen Teilen in diesen drei Städten abgespielt. Die meisten Künstler, mit denen ich in Deutschland zusammenarbeite, leben in Berlin, Leipzig und Köln. Meine Musik ist immer sehr autobiografisch. Ich versuche an dem dranzubleiben, was mich bewegt. Nicht zuletzt ist auch die Wahl der Musiker, mit denen man spielt, autobiografisch. Das sind immer Leute, mit denen man künstlerisch und persönlich einen Weg zurückgelegt hat und die das bedienen können, worum es einem in der Musik geht.“

Und wahrlich, sie hat viel zu erzählen. Als lebenshungrige Musikerin hat sie ein Faible für Anekdoten, egal, ob sie aus Filmen, Büchern, Comics oder der eigenen Alltagswahrnehmung kommen. Überall greift sie auf, was sie umtreibt, im Persönlichen ebenso wie im Globalen. Ihre musikalischen Geschichten haben stets einen Hintergrund. Wenn sie mit ihren beiden Gespielen ins Musizieren kommt, vergisst man ganz schnell, welche Instrumente man hört. Alle drei leisten ihre Beiträge, übernehmen intuitiv Verantwortung, ohne sich in den Vordergrund zu spielen. Der spielerische Impuls wechselt unablässig zwischen den drei Protagonisten. Im Mittelpunkt steht zu jedem Zeitpunkt die Geschichte, und die drei musikalischen Grundfarben dienen dazu, sie bestmöglich abzubilden. „Als Komponistin interessiert mich der Klangkörper mehr als Solisten“, so Volkmann. „Von meiner menschlichen und ideologischen Ausrichtung ausgehend, glaube ich an Kollektivität und Gemeinschaft. Die Gesellschaft konzentriert sich viel zu sehr auf den Einzelnen. Auch im Jazz geht es immer um die Bandleader. Mir ist es viel wichtiger, dass es wie im Rock Bands gibt, die selbst als Klangkörper funktionieren. In der Probenphase haben wir hart daran gearbeitet, dass jeder seine Verantwortung wahrnimmt.“

Auf dem Weg zu dieser Kollektivität hat das Trio viel Klangforschung betrieben. Dabei kamen unterschiedlichste Fragen auf, deren Antworten akribisch gesucht wurden. Wie kann das Saxofon ähnlich klingen wie der gestrichene Bass? Wie kann man auf dem Becken quietschen wie auf dem Saxofon? Es ging nicht um Abgrenzung, sondern um Verschmelzung der verschiedenen Klangquellen. Musik als Prozess der Integration, genau wie bei den Farbpigmenten einer autochromen Fotografie.

Der Verschmelzungsprozess geht aber noch tiefer, und hier kommt ein weiterer philosophischer Aspekt ins Spiel. Im Jazz treffen die meisten Musikerpersönlichkeiten eine Grundentscheidung für eine abstrakte oder eine dem Leben abgelauschte Spielart. Bei Autochrom setzt sich eine intellektuelle Alltäglichkeit durch, die man in dieser Selbstverständlichkeit nur ganz selten findet. Die Songs sind höchst alltagskompatibel, ohne Abstriche an den abstrakten Momenten zu machen. Luise Volkmann hat sich ihren Fundus intuitiv durch punktuelle Recherchen erschlossen, wie sie selbst es nennt. „Ich mag die Weisheit des Situativen, egal ob es um philosophische oder menschliche Kontexte geht. Auf diesem Weg kann man die größten Fragen aufwerfen. Das hat eine unglaubliche Poesie, die immer etwas auslöst. Diese Art der Intellektualität ist mir nicht zuletzt als Ausdrucksform in der Musik sehr nah.“

Hinzu kommt eine verspielte Ernsthaftigkeit oder ernsthafte Verspieltheit – ganz, wie man will, denn daraus ergeben sich zwei gegensätzliche Bewegungsrichtungen, die aber auf denselben Punkt hinauslaufen. Alle drei nehmen ihre Musik sehr ernst und haben gerade deshalb sehr viel Spaß an ihr. So klingen die Stücke bei all den unterschiedlichen Ideen und Beweggründen, die hier sehr fein verwoben werden, sehr spontan und kompakt. Luise Volkmann beschreibt den Prozess als Mischung von Ungeduld und Erfahrung. Bevor es zu den Aufnahmen kam, hat sie mit den Songs relativ viel experimentiert. Sie legte Parameter wie den Bandsound und eine Form zugrunde, die kompakt und tanzbar ist, aber dem improvisatorischen Moment ausreichend Raum gibt. Erst als der ästhetische Rahmen gesteckt war, entstanden dann die konkreten Stücke. „Ich bin stark Rock geprägt und möchte richtige Songs schreiben. Da kann viel passieren und die Songstruktur auch komplett aufgelöst werden, aber es sollte immer ein Thema geben, das mich gerade berührt. Das kann auch ein emotionales Thema sein, das mich gerade inspiriert.“

Genug der Worte. Die Musik von Autochrom braucht keinen Beipackzettel, denn sie erzählt ihre Geschichte selbst. Ohren auf und durch, dann weiß man alles über diese Musik, was es zu sagen gibt.

Nwog records 029 / 0796376719690 / Vertrieb: Edel

Veröffentlichung: 22. November 2019

Fotos I Cover

Das Fotomaterial ist für redaktionelle Nutzung freigegeben. Soweit vorhanden ist der Fotocredit anzugeben.

Video