Malte Viefs Kammer – Kammer II

Eine minimalistische Motivik und bei aller Komplexität zugänglich und zuversichtlich

Malte Vief sitzt nach einem Konzert hinter der Bühne. Im Saal wurde das Putzlicht angeschaltet und es dröhnt etwas Musik hier herüber. Wir sind zum Interview verabredet.
Ich frage drauf los: „Hatten sie als Kind einen immer wiederkehrenden Traum?“  Vief: „Ja, ich begegnete auf einem mit Gras bedeckten Hügel einem Fuchs. Ich hatte Angst vor ihm.“

Malte Vief ist ein nahbarer, offener und sozialer Familienmensch. Die Familie ist sein Thema. Damit direkt verknüpft die stetige Frage wo wir herkommen, wo wir hingehen und wo wir hingehören. Vief gibt Antworten, die uns als Formeln nichts sagen würden. Kein Blatt Papier passt zwischen sein Empfinden und die Wirkung seiner Musik. Er erschafft virtuose Instrumentalmusik und bleibt nah an seiner Person und seinem Erleben. Dadurch entsteht wie von selbst und völlig unverkrampft: Authentizität.

Mit „Kammer II“ erscheint das fünfte Studioalbum von Malte Vief (Gitarre) und seinem Stamm-Ensemble: Jochen Roß (Mandoline) und Matthias Hübner (Cello). Das Trio lässt energetisch seit jeher die Kuh fliegen und spricht auch auf „Kammer II“ wieder spielerisch mit einer Stimme. Die Musiker gehen im richtigen Moment nach vorne, lassen sich gekonnt wieder zurückfallen, wechseln zwischen
Spannung und Entspannung ohne sich dabei gegenseitig auf den Füßen zu stehen. Eine teilweise beachtlich hohe Anschlagsdichte, raffinierte Verzahnungen und die gleichzeitig herrschende frequenzielle Ordnung wird auf „Kammer II“ mit Gastmusikerin Alina Gropper (Violine) und Gastmusiker Clemens Christian Poetzsch (Klavier) weiter auf die Spitze getrieben. Es entsteht ein signifikantes Gespinnst aus Kontrapunkt, klassischen Formen und barocken Harmoniefolgen. Nicht ohne von poppigen Rückungen konterkariert zu werden.

Eine minimalistische Motivik wird begleitet/unterstützt vom rhythmischen Drive der Rockmusik. Um Vief zu zitieren: „Um mich als „klassischer Musiker“ wohl zu fühlen, hat mir eine gesunde Eitelkeit gefehlt. Mir gefiel immer schon eine gewisse Härte und Aggressivität im Ton.“ Auf „Kammer II“ zeigt schon der Opener „Wir“ wo die Reise hingeht. Von naiv, leichtfüßig und verspielt entwickelt sich das Stück gekonnt hin zu einer stoisch triefenden Melancholie. Wälzt sich aus in Harmonien die niemals enden sollen. Der Aufmacher zeigt damit eindrucksvoll zu was die Besetzung, um das Klavier erweitert, imstande ist. Mehr davon! Jetzt! „Wir“ ist die Klammer mit der das Album beginnt und schließlich mit „Wir Epilog“ endet. In dieser Klammer finden sich Stücke mit auffallend kurzen Namen wie „Ich“, „Du“, „Selbst“, „Liebe“; aber auch ein Stück was von der Namensgebung – wie auch von der energetischen Dringlichkeit – den Rahmen komplett sprengt: „Auseinandersetzung“.

Wie in der molekularen Physik entsteht ein Gleichgewicht aus den einzelnen Elementen; aus dem was sie verbindet, aus Spannungen und Entladungen. Schon die Titeldramaturgie ist eine Art Gedicht mit ganz eigener zeitgeistiger Aussage. Während die Subjekte in ihrer nahbarsten Form musikalisch skizziert werden; ist es der gemeinsame Nenner des „Wir“-seins der auch bei heftigster
Auseinandersetzung immer bleibt. Eine wohltuende Sub-Message in dieser Produktion und dieser Zeit. Der Wahl-Leipziger Vief hat sich im Jahre 2004 in die Keimzelle der friedlichen Revolution begeben. Dort wo Klassik, Jazz und alle denkbaren Strömungen von Popularmusik gleichermaßen zu Hause sind und koexistieren.

Viele Aspekte, die Malte Viefs Schaffen bestimmen, finden auf „Kammer II“ versöhnlich zusammen. Der jugendliche Größenwahn orchestral-cineastischer und brutaler Klangwände seines Albums „Antigo“, die filigrane facettenreiche Kammermusik von „Kammer I“ und auch das gitarristisch solistische Schaffen auf zum Teil kuriosen Instrumenten wie der Aliquot-Gitarre. Bei allen melodischen Ausschweifungen auf „Kammer II“ fehlen nie die gekonnt inszenierten Kontraste. Manchmal in Form von klanglichen Kanten, manchmal durch rhythmische Aufbrechungen. Die Produktion wirkt nah dran, lässt Spiel- und Griffgeräusche in einem Maße zu, dass die gesamte Produktion eine neue Ebene an Tiefe gewinnt und im Kontrast zu den herzzerreißenden Melodien in einer spannungsvollen Balance gehalten wird.

Das schmerzliche Reiben des Cellobogens am Ende von „Du“ geht direkt in die Eingeweide. Wie auch das Klangholz der Mandoline in „Liebe“ förmlich zum Leben erweckt wird und mit fast menschlicher Stimme spricht. Während in „Wir Epilog“ der Dämpfer des Klaviers in bester Neo-Klassik-Manier die Performance von Clemens Christian Poetzsch plastisch, drastisch und sichtbar macht. Und wie Malte Vief in „Auseinandersetzung“ die Gitarre zum bloßen Werkzeug und Mittel zum Zweck degradiert. Wo Metall, Knochen, Holz, Leim und Lack um Gnade winseln.

Die titelgebende „Kammer“ ist für Vief ein Symbol für die Begegnung verschiedener Menschen in einem geschlossenen Raum, im wirklichen wie im übertragenen Sinne. In jener Kammer können wir uns begegnen. Man ist zugleich geschützt und gefangen. Die Kammer gibt Geborgenheit und Nähe – fordert heraus, sich zu schützen und abzugrenzen. Schon im ersten Teil-Album „Kammer I“ aus dem Jahre 2018 ging es um Begegnung auf engem Raum – dem Vaterwerden, dem Wachsen der Familie und um Trennung. Nach diesem auch stark von Schmerz und Trauer geprägten Album ist „Kammer II“ Malte Viefs Frühlingssymphonie. Ein helleres Werk.

Die Musik hat bei aller Komplexität an Zugänglichkeit und Zuversicht gewonnen ohne dabei jemals ins Belanglose abzugleiten. Kuriose Ohrwürmer lassen auch beim analytischen Hören den Verstand entgleisen. Komplexe Abläufe und verrückte Melodien erscheinen dem Hörer in liedartiger Schlichtheit. Bei Malte Vief gewinnt dabei am Ende immer die Emotion. „Ich habe als Komponist die Möglichkeit, eine perfekte Musik zu schreiben. Das verstehe ich nicht wertend oder vergleichend sondern persönlich. Jedes gehörte Stück Musik, das mich berührt und mir schlicht gefällt, beeinflußt und inspiriert mich, wird zum Nährboden meiner Musik. Daraus kreiere ich ein persönliches
Mosaik, meine Musik – so, wie sie mir gefällt.“ Als Kind wollte Malte Vief Feuerwehrmann werden, später Astronaut. Sein erstes Wort war „Treckerwindmühle“. Sein Lieblingsfach war Mathe, später Musik. Viefs musikalisches Wirken bedingt einen stetigen Wechsel zwischen verschiedenen Rollen. Denn so nahbar und menschlich die Intentionen von Viefs Kompositionen sind, so ehrfürchtig und übermenschlich ist deren Umsetzung. „Als Musiker muss ich für meine Person eine Rolle kreieren, mit der ich mein Schaffen darstellen und vermitteln kann. Ich muss für mich als Künstler
Entscheidung darüber treffen, wie nah oder entfernt diese Rolle von meinem wirklichen Sein ist.“

Vief schließt den Koffer seiner 7-saitigen Meistergitarre. Eine Jost von Huene aus Ahorn und Fichte, welche einst mit nur sechs Saiten im Showroom des Gitarrenbauers hing. Auf Wusch des Künstlers musste der Meister mit dem Instrument noch einmal an die Werkbank. Etwa ein Drittel des Jahres verbringt Malte Vief mit dieser und anderen Gitarren – mal mit und mal ohne Mitmusiker – auf Tour. Ein sich stetig wiederholender Kindheitstraum.

www.maltevief.de

Supermusic I Malte Vief  / 4039967106780 / LC 00863 / Vertrieb: Recordjet

VÖ: 05.11. 2021

Live

08.09.2021 Arneburg, Stadtkirche St. Georg
09.09.2021 Seefeld, Seefelder Muhle
11.09.2021 Schwerin, Dorkirche Zittow
12.09.2021 Berlin, Kulturzentrum Schöneweide Ratz-Fatz
24.09.2021 Pohrsdorf/Tharandt bei Dresden, Saxstall
26.09.2021 Dreifaltigkeitskirche, Oldenburg
08.10.2021 Jena, Eulensteinscher Hof
09.10.2021 Tangermünde, Salzkirche
15.10.2021 Elben bei Halle, Elbenkonzerte im Eulenbergscher Hof
19.10.2021 Insel Baltrum
20.10.2021 Kiel, St. Nikolai Kirche
23.10.2021 Backnang, CJE
24.10.2021 Cloppenburg, Ev. Kirche
05.11.2021 Nordenham, Jahnhalle
06.11.2021 Bad Rodach/Coburg, ELSA 47
19.11.2021 Lübeck, CVJM
20.11.2021 Hamburg, Kulturküche
21.11.2021 Göttingen, Universitätsklinikum
03.12.2021 Witzenhausen, Ringelnatz
04.12.2021 Schwäbisch Hall, Kuenstlerkneipe Gleis 1
18.01.2022 Lüneburg, Wasserturm
16.02.2022 Kiel, St. Nikolai Kirche
06.05.2022 Leipzig, Horns Erben
07.07.2022 Ostseebad Wustrow, Fischlandhaus
10.07.2022 Insel Juist, Inselkirche
13.08.2022 Spiekeroog, Neue evangelische Kirche
14.09.2022 Apolda, Lutherkirche
31.10.2022 Bad Düben, Stadtkirche St Nikolai

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