Marie Spaemann – Gap

Ein Debut mit subtilen Emotionen, eingängigen Melodien und klugen Details für ein generationenübergreifendes, aufgeschlossenes Publikum. Marie Spaemann konzentriert sich auf Cello und Stimme, schlägt durch ihr versiertes Spiel, ihren warm timbrierten, variablen Gesang und einige Soundeffekte klangvolle Brücken von der Klassik in gegenwärtige Pop-Ästhetik.

„Meine Songs streben nach der Auflösung einer Melancholie, wie die Lichter am Ende der Nachdenklichkeit.“ Marie Spaemann

Seit Jahren bewegt sich Marie Spaemann gleichermaßen in der Klassik wie in Pop und Jazz. Als Solo-Cellistin spielte sie beispielsweise mit der Norddeutschen Philharmonie das  Cellokonzert op. 37 von Erich Wolfgang Korngold, jenem österreichisch-amerikanischen Komponisten, der von 1935 bis ’45 Hollywoods Filmmusik fundamental beeinflusste. Mehrfach trat Spaemann im Konzerthaus Wien sowie (unter dessen Ägide) in Manhattan auf, ebenso beim Sommerfestival Dubrovnik, bei Puplinge Classique (Genf) und dem südkoreanischen Festival Classic Garden. Andererseits arbeitete sie als Sängerin mit dem österreichischen Elektroswing-Produzenten [dunkelbunt], ging 2016 mit dessen Band sowie als deren Solo-Support auf Tournee. Parallel dazu spielte sie rund zwei Jahre bis 2017 Cello bei dem Jazz-Querdenker Christoph Pepe Auer und begleitet außerdem den österreichischen Regisseur, Puppenspieler und Kunstpfeifer Nikolaus Habjan bei ausgewählten Auftritten. Zuletzt war Spaemann Solistin in der Bühnenproduktion The World Of Hans Zimmer.

Auf ihrem Debütalbum Gap bringt Marie Spaemann nun viele dieser unterschiedlichen Erfahrungen zusammen. Aber eben nicht, indem sie alle in einen Topf wirft und so lange verrührt, bis ursprüngliche Formen und Konsistenzen gänzlich verschwunden sind. Bewusst konzentriert sich Spaemann auf Cello und Stimme, schlägt durch ihr versiertes Spiel, ihren warm timbrierten, variablen Gesang und einige Soundeffekte klangvolle Brücken von der Klassik in gegenwärtige Pop-Ästhetik. Stets darauf bedacht, musikalische Substanz und spezifische Charakteristika zu bewahren. Das Ergebnis klingt ungewöhnlich, individuell, berührend – und absolut stimmig. Einige Konzerte hat Spaemann mit ihrem Programm bereits erfolgreich gegeben, etwa bei den Tiroler Festspielen in Erl und der Cello Biennale Amsterdam. Für diesen Herbst wurde sie vom Alpen Arte-Festival als Intendantin in Residence engagiert.

Das Titelstück des Albums ist auch sein Aufmacher. Anfänglich konzentriert auf minimalistische Cello-Drones, zartes Klopfen und ausdrucksstarken Gesang, steht Gap exemplarisch für die Intensität leiser Töne. Konzentrierte Reduktion ist essentiell für Marie Spaemanns hintergründige Musik, ebenso eine nuancierte Ausweitung der Arrangements durch zweite Stimmen und vielschichtige, gezupfte oder gestrichene Cello-Klänge, die den Song nach und nach bereichern. Textlich schlägt sie (nicht nur) in Gap einen Bogen von persönlichen zu gesellschaftspolitischen Gedanken. Die Mauer stand hier zunächst als Metapher für etwas, das man sich selbst in den Weg stellt, hat aber inzwischen weitere Bedeutungsebenen. „Ich habe Gap schon vor längerer Zeit geschrieben, leider passt es heute zu so viel mehr als damals“, bemerkt Spaemann dazu.

Das folgende Metamorphosis beginnt mit einem sparsam gezupften und aufs Holz des Cellos geschlagenen Groove, über den Spaemann zunächst im Spoken Poetry-Stil spricht, dann mehrstimmig Lead-Stimme und Chöre singt. Dabei phrasiert sie erst rhythmisch, später schwelgt sie ohne Pathos in einer unaufdringlich eingängigen Refrain-Melodie. Im Text schaut die Göttin Europa auf ihren Kontinent und erzählt ihm, was sie meint, das er braucht: „a love that already knows what the heart’s not singing yet“. Butter Tango hat musikalisch nichts mit dem Tanz aus Argentinien zu tun, vielmehr tänzelt Spaemann hier mit zurückhaltender Emphase auf Soul-Terrain. Der Tango steht für Leidenschaft und Kampf, Ruhe und Vertrauen; inhaltlich geht es um die Kluft zwischen dem Wunsch nach Freiheit und den steinigen Wegen des realen Lebens.

Eine entschlossen optimistische Haltung strahlt Fire aus; geradezu utopisch erscheint Prelude, das als künstlerische Antithese zu Spaltung und Abgrenzung figuriert. Hier kombiniert Spaemann das traditionelle arabische Liebeslied Chehilet Laayani und das israelische Friedens-Volkslied Shalom Chaverim. Als Bindeglied fungiert Preludio-Fantasia des Ravel-Schülers Gaspar Cassadó von 1926, alle drei kraftvollen Melodien verbindet die Tonart d-Moll. Vollends in die Klassik geht es danach mit Sarabande und Gigue aus J. S. Bachs Cello-Suite in d-Moll. „Bach ist einer der Gründe, warum ich nie aufhören könnte, klassisches Cello zu spielen. Diese nun wirklich sehr alte Musik so zu spielen, als wäre sie komplett neu und frisch, dem Komponisten und der damaligen Spielweise aber auch Respekt zu erweisen, finde ich superspannend.“ Zur gelungenen Dramaturgie des Albums passt, dass danach mit Shadow der komplexeste und vielleicht hintergründigste Song aus Spaemanns Feder folgt.

Insgesamt fünf Miniaturen hat Marie Spaemann auf dem Album verteilt, in denen sie Ideen und Anliegen formuliert, die sich wie Postkarten mitteilen. Sun Is Burning lässt Souljazz-Stilistik anklingen, Hybris kombiniert instrumentale Miniaturen und eine gesprochene, ironische Abrechnung mit dem Zeitgeist heutiger junger Menschen. In Becoming tendieren Vokal-Melismen und vergleichsweise raue Cello-Einsätze Richtung klassische Moderne und Pop-Avantgarde.

„Mir macht es Spaß, die Leute wachzuhalten, indem ich zwischen den Genres wechsele“, erklärt Marie Spaemann die Spannweite ihres Debütalbums. Als sie vor einigen Jahren begann, alleine eigene Songs zu entwickeln, habe sie vor allem Freude daran gehabt, etwas neues auszuprobieren. „Inzwischen ergibt das alles richtig Sinn und ich möchte unbedingt auf diesem Weg weitergehen.“ Der Albumtitel Gap bezieht sich weniger „auf die scheinbare Kluft zwischen meinen vielen musikalischen Einflüssen, dich ich beim Schreiben weder sehe, noch bemerke“, sagt Marie Spaemann. Vielmehr beschäftigten sich die Stücke häufig mit der Kluft zwischen dem, was gerade ist und dem, was man sich für die Zukunft vorstellt, erklärt die Enkelin des 2018 verstorbenen Philosophen Robert Spaemann. „Eine weitere Kluft ergibt sich aus den verschiedenen Perspektiven, die man zu einer Situation einnimmt. Sie können so oder so sein, aber nur wenigen Menschen gelingt es, beide Positionen gleichzeitig einzunehmen.“

Marie Spaemann bestreitet nicht, dass manche Titel leicht melancholische Züge tragen. „Aber die Songs streben nach der Auflösung dieser Melancholie. Ebenso sind die Texte darauf aus, die besagte Kluft zu verkleinern oder verschwinden zu lassen, indem sie von einem Blickpunkt zum anderen zu kommen.“ Es sind die Lichter am Ende der Nachdenklichkeit, die Gap letztlich eine positive Ausstrahlung verleihen. Und natürlich Spaemanns eindrücklicher Gesang, der auch mit kleinen Gesten große Aussagen trifft. Manche Passagen ihrer nuancierten Arrangements mögen Erinnerungen an Camilles großartiges Album Le Fil wecken. Insgesamt ist Marie Spaemanns kammermusikalische Songsammlung, nicht zuletzt dank ihrer Virtuosität als Cellistin, ein unvergleichliches Werk. Mit subtilen Emotionen, eingängigen Melodien und klugen Details spricht Gap ein Generationen übergreifendes, aufgeschlossenes Publikum an.

 

Biografisches

Inspiriert von ihrer Mutter, einer Pianistin und Musikpädagogin, entschied sich Marie Spaemann (*1988, Wien) mit sieben Jahren fürs Cello. „Ich war aber keines dieser Drill-Kinder, habe auch getanzt und mich mit Freundinnen getroffen“, erzählt Spaemann. Als Teenager verwarf sie eine Zeit lang die Idee, Profi-Musikerin zu werden, nach der Matura begann sie dann aber doch ein klassisches Cello-Studium, zunächst in Wien, dann als erste Erasmus-Studentin in Kroatien. 2011 absolvierte sie ihren Master, schon 2009 gewann sie den renommierten Internationalen Johannes Brahms Wettbewerb in Pörtschach. „Etwa zur selben Zeit hatte ich begonnen, die Lust an der bloßen Interpretation der Klassiker etwas zu verlieren“, erinnert sich Spaemann. 2012 unternahm sie eine Reise nach Ghana, wo sie das Gefühl genoß, fünf Wochen weitgehend ohne Verpflichtungen unterwegs zu sein. Mit nachhaltigen Folgen. „Einmal bin ich zum Sonnenaufgang aufgewacht und habe meinen ersten eigenen Song geschrieben.“

Nach der Reise fiel es ihr umso schwerer, ausschließlich im Klassikbetrieb zu bleiben. Sie nahm Unterricht bei einem Jazz-Geiger und für Gesang, übte den Spagat zwischen Freiheitsdrang und der Sicherung des Lebensunterhalts. Die in der Klassik nötige „ständige Fitness, die tägliches mehrstündiges Training erfordert“, musste zuweilen ein wenig zurückstehen. „Nach ein paar Monaten bei dem Jazzgeiger wusste ich, dass ich nicht in diese Richtung gehen will. Aber ich habe mich endgültig getraut, eigene Stücke zu schreiben.“ Parallel dazu begann sie die Zusammenarbeit mit Pepe Auer, durch die sie den Akkordeonisten und Komponisten Christian Bakanic kennenlernte, mit dem sie bis heute ein dynamisch groovendes Duo hat. 2014 veröffentlichte sie unter dem Namen Mela ihre erste, noch deutlich stärker von Pop- und Loop-Ästhetik beeinflusste Solo-EP „The Moony Sessions“.

Anthropoet / Believe Music  //  Cat. #: ANP 001  // Barcode: 4040598010100

Veröffentlichung: 08. November 2019

LIVE

07.11.2019 Premierentage, A-Innsbruck
12.11.2019 Kunstdünger, A-Fehring
21.11.2019 Salonfestival, Hamburg
24.11.2019 Salonfestival, Düsseldorf
25.11.2019 Kirchenkonzert, Bobenheim-Roxheim
09.12.2019 Schubert Theater, A-Wien/Musikalischer Adventkalender
10.12.2019 Stiftung Mozarteum, A-Salzburg

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