Markus Becker – Regarding Beethoven  

Jazz und Klassik auf einem Soloalbum und immer wieder das Durchschimmern des Stolperns von Thelonious Monk. Markus Becker schöpft aus einem riesigen Fundus mit seinen Improvisationen über Ideen von Beethoven

Die erste Frage, die einem beim Hören des neuen Albums des Pianisten Markus Becker in den Sinn kommt, ist: „Darf man das?“ Becker hat sich Musik Beethovens vorgenommen, und das nicht, um sie möglichst werkgetreu aufzuführen. Auf „Regarding Beethoven“ wird über den alten Meister improvisiert. Das Ergebnis klingt, als sei dessen Musik mit einem Mal vollkommen neu. Und doch bleibt er immer präsent. „Regarding Beethoven“ hat also nichts von einem Ikonensturz.

„Es sind Improvisationen über Ideen von Beethoven“, erzählt Becker. „Mir geht es nicht darum, an den Stücken entlang zu improvisieren. Aus den kleinen Dingen soll etwas wirklich Neues entstehen.“ Manchmal genügt da ein kleines Motiv als Ausgangspunkt, das dann zur Quelle von schier übersprudelnder Musik wird.

Die eigentlich schon totgespielte erste von Beethovens „Elf Bagatellen“ erstrahlt hier in neuem Licht. Die altbekannte Tonfolge wird genommen und immer wieder abgewandelt, ohne je ganz zu verschwinden. Am Ende löst sie sich in einer kurzen Kaskade schnell gespielter Töne auf.

Beethovens Musik macht, von Markus Becker aufgehoben und weitergesponnen, großen Spaß, klingt wie zum ersten Mal gehört und ist ohne jede Schwere. Ohne sie zu bagatellisieren.

„Vom Tode“ zum Beispiel. Ursprünglich ein schubertschweres Klagelied, das, gerade wenn es von Dietrich Fischer-Dieskau gesungen wird, auch dem bestgelaunten Hörer die Lebensfreude rauben kann. Hier kommt die Musik ins Schweben und wird zu etwas, das durchkomponiert klingt, aber spontan entstanden ist, in enger Fühlung mit dem Ausgangsmaterial.

Der musikalische Fundus, aus dem hier geschöpft wird, ist enorm. Die Improvisation über den 1805 geschriebenen dritten Satz der „Apassionata“, in dem schon bei Beethoven keine einzige Phrase so zu Ende geführt wird, wie es damals üblich war, lässt hören, auf welche Weise Markus Becker Jazztechniken in sein Spiel selbstverständlich einbaut. Nicht in dem Sinne, dass Klassisches hier Jacques-Loussier-artig zum Swingen gebracht würde. Aber man hört Jazz durchschimmern – das Stolpern von Thelonious Monk, die Freiheit im Zugang zum Material. „Die Improvisation schenkt mir auf der einen Seite mehr Freiheit, zeigt mir auf der anderen Seite aber, dass ich in mir eben auch die Sehnsucht nach Strukturen trage, die ich mir selbst geben muss“, sagt Becker. Und Freiheit bei gleichzeitig stützender Struktur ist das große Versprechen des Jazz.

Das Klare und Unmittelbare, das die Improvisationen des Klaviervirtuosen Markus Becker auszeichnet, mag auch damit zusammenhängen, dass ihre Grundsteinlegung nicht am Konservatorium, sondern in der Kindheit passiert ist. „Ich habe als Kind das Klavier kennengelernt und improvisierend Dinge nachgeahmt, die ich gehört hatte. Es ist für mich etwas völlig Organisches, vom Hören aus an die Sachen ranzugehen und nicht von einem Notenbild oder anderen Vorgaben.“

Diese Freiheit kann man der Musik anhören. Sie lässt „Regarding Beethoven“ zu einem der lebendigsten Jazz und Klassik verbindenden Soloalben der letzten Jahre werden.

Berthold records / BR323123 / LC 27984 / 4250647323123 / Vertrieb: Cargo

VÖ: 19.5.2023

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