Nils Wogram Nostalgia – Things We Like To Hear

‚Ich habe einige Alben aufgenommen, die rhythmisch oder harmonisch sehr komplex sind. Diese Platten mag ich noch heute, aber für den Augenblick suche ich nach etwas anderem.‘ Nils Wogram

Berühren oder beeindrucken – das ist hier die Frage. Und zwar die einzige Frage, die auf „Things We Like To Hear“, dem fünften Album von Nils Wograms Trio Nostalgia zählt. Posaunist Nils Wogram, Drummer Dejan Tersić und Organist Arno Krijger machen es dem Hörer leicht. Mit einer verbindlichen Dub-Melodie starten sie entspannt in ein Album, dessen eingeschlagene Leichtigkeit sie auch in den folgenden acht Songs aufrecht erhalten. Sie lassen alles weg, was weggelassen werden kann und konzentrieren sich aufs Wesentliche. Wogram hat oft genug gezeigt, dass er komplexe Ideen umzusetzen weiß, aber jetzt schlägt er einen neuen Weg ein. Er lässt sich in die Musik fallen, genießt den Moment, fühlt sich wohl mit dem, was er tut, ohne seine Umgebung aus dem Auge zu verlieren. Statt Abstraktion setzen die drei Musiker auf Emotionalität. „Sicher gehören Komplexität und Dissonanz zu unserer Musiktradition“, so Wogram, „aber Komplexität ohne eine Story oder Emotionalität finde ich schwierig. Je länger ich spiele, desto größer wird mein Bedürfnis, mich einer Essenz anzunähern. Ich habe einige Alben aufgenommen, die rhythmisch oder harmonisch sehr komplex sind. Diese Platten mag ich noch heute, aber für den Augenblick suche ich nach etwas anderem. Ich höre rechts und links großartige Jazzmusiker, die auf diese Komplexität setzen, bin davon beeindruckt, aber oft nicht mehr berührt. Deshalb versuche ich, ein wenig gegenzusteuern und Dinge zuzulassen, die vordergründig einfach sind.“

Der Titel „Things We Like To Hear“ ist eine programmatische Aussage an den Hörer, die ernst genommen werden will. Wogram startete das Trio 2004, damals noch mit Florian Ross an der Orgel. Album für Album setzte er unterschiedliche Schwerpunkte. Schon das Motto der letzten CD „Nature“ deutete den Paradigmenwechsel einer sehr unmittelbaren Übersetzung von Naturerfahrung in Klang um. „Things We Like To Hear“ führt dieses Postulat konsequent weiter. An den Punkt dieser abermaligen musikalischen Läuterung zu gelangen, war für Wogram nicht leicht, aber wer hätte schon behauptet, dass der Weg ein leichter sein soll. Er wurde von vielen Fragen nach dem Sinn des Musizierens in der Gegenwart flankiert. Auch innerhalb der Band vollzog sich diese Reduktion in Richtung Vereinfachung nicht ohne Diskussionen. Am Ende hatten die drei Musiker keine Wahl. Wograms Formel klingt verblüffend einleuchtend. „Einfachere Strukturen, ohne banal zu werden, ein wenig drauflos spielen, ohne sich permanent um die Form Gedanken zu machen, und eine unverstellte Emotionalität, die keiner Erklärung bedarf.“

Bei allen Neuerungen trägt das Album immer noch unüberhörbar die Signatur von Nostalgia. Aber im Gegensatz zu den früheren Alben des Trios stellt Wogram nicht mehr die Frage, woher kommen wir, sondern aus der Perspektive der Gegenwart: Was gilt es aus der Vergangenheit zu bewahren? Er imaginiert die Gegenwart aus der Perspektive der Zukunft. Ohne ein Banner zu schwenken, richtet er damit den Fokus auf die sensibelsten Fragen der Zeit. Für Wogram bedeutet der Begriff Nostalgia nicht zuletzt, sich auf bestimmte Grundqualitäten zu konzentrieren, die er als zeitlos bezeichnet. Das zeitlose Element auf der neuen CD bestehe darin, offen über Strukturen zu improvisieren, die nicht über alle Maßen komplex sein müssen. „Ich hatte mich gefragt, wo wir heute mit dem Jazz stehen. Ich liebe die Komplexität von John Coltrane oder Charlie Parker, aber sie hatten eben auch immer ihre Geschichten. Im zeitgenössischen Jazz nehme ich die formalistische Tendenz wahr, immer schwierigere Themen zu bewältigen. Das hat schon oft etwas Zirkusmäßiges. Die zeitlosen Komponenten von Jazz sind für mich Spontaneität und Improvisation. Und je einfacher die Strukturen sind, desto spontaner lässt sich darüber improvisieren.“

Als Wogram das Trio Nostalgia gründete, ergab die Summe aus Sound und Bandnamen einen bewussten Kontrapunkt zu den übrigen Projekten des Posaunisten. Er selbst ist indes weder als Musiker noch als Privatmensch ein Nostalgiker, und das trifft auch auf seine beiden Kompagnons zu. Alle drei leben im Hier und Jetzt und wollen daran teilhaben, die Musik weiterzuentwickeln. Dafür braucht Wogram keine Überschrift. Er entzieht sich allen Reflexen und Erwartungen, will weder provozieren noch bewahren, sondern bringt einzig zu Gehör, wonach es ihn und seinen Mitspielern selbst verlangt. Manche Melodien auf „Things We Like To Hear“ fangen einfach Stimmungen ein, andere fordern zum Bewegen oder Mitsummen auf, wieder andere erinnern vielleicht an einen guten, alten Film Noir. Sein Ziel besteht darin, Intellekt und Körper zusammenzubringen. „Things We Like To Hear“ ist der nächste Schritt in diese Richtung. „Das Solo ist bei uns kein Selbstzweck, sondern ein Vehikel, den Gesamtsound der Gruppe zu transportieren. In dieser Hinsicht lerne ich viel von meinen Schülern und Studenten. Sie brauchen keine langen Erklärungen, sondern legen einfach los. Das hilft mir ungemein, auch die eigene Arbeit zu reflektieren. Ich will alle Generationen einfangen. Deshalb muss die Emotionalität stimmig sein, sonst wird die Musik zur leeren Hülle.“

Diese Musik will nicht erklärt, sondern gehört werden. Nils Wogram ist ein Musiker, der die Ohren offenhält und die Welt mir dem Horn so einfängt, wie sie ist. Mit Nostalgia geht er einmal mehr über Start, nicht weil er ganz von vorn anfangen wollte, sondern weil alles Gesagte gesagt ist und damit keiner Wiederholung bedarf.

Nwog 027 / 0796376719621 / Vertrieb: EDEL
Veröffentlichung: 08. Oktober 2019

Live

13.10. Kalchreuth, Kulturbahnhof
14.10. Wolfenbüttel, Villa Seliger
15.10. Köln, Stadtgartem
16.10. NL-Osterhoud, Theatre De Bussel
17.10. Hannover, Jazzclub
18.10. Bremen, Sendesaal
19.10. Wendland Jazz, Gasthaus Wiese Gedelitz
20.10. Hilden, Technikmuseum
21.10. Mainz, Schon Schön
23.10. CH-Wädenswil, Theater Ticino
24.10. CH-Männedorf, Rothus Wies Genossenschaft
25.10 Bad Kreuznach, Jazzclub
26.10. Burghausen, Jazzclub
27.10. Berlin, A-Trane
30.10. CH-Zürich, Jazz im Seefeld
31.10. CH- Basel, Bird`s Eye

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