PHALANX – WILD

ein Amalgam aus Jazz und Avantrock

elegische Klaviermelodien werden von einer freidrehenden Gitarre abgelöst

Der martialische Bandname führt ein wenig in die Irre: Das Quartett Phalanx klingt nicht wie eine geschlossene Front, sondern ist ein offenes System. Die maßgeblichen Koordinaten sind Jazz und etwas Metal-Avantgarde-artiges, kaum zu Definierendes. Innerhalb dieser Koordinaten kann dann eigentlich alles passieren, und wenn die Band von ‚25 Ideen‘ pro Komposition spricht, ist das noch bescheiden formuliert.

Ideenreichtum und Schönheit der Musik von Phalanx entstehen aus Polen, die einander traditionell noch immer entgegengesetzt sind: Jazz auf der einen, Rock und Noise auf der anderen Seite. Oder auf die Instrumente übertragen: das Klavier auf der einen Seite, eine auf viele interessante Weisen verzerrte E-Gitarre auf der anderen. Jazzrock, sozusagen – aber ohne alles, was klassischen Jazzrock oft so grauslig werden lässt. Also ohne selbstverliebtes Solieren und schlimme Gniedelei.

Stattdessen spielen die drei Musiker um Bandleader Mathieu Bech (Klavier) – Axel Zajac (Gitarre), Michael Haupt (Bass) und Johannes Pfingsten (Schlagzeug) – ein Amalgam aus Jazz und Avantrock. Stücke, in denen elegische Klaviermelodien von einer freidrehenden Gitarre abgelöst werden können, ohne dass es wie einen Genrewechsel geben würde; in denen Neoklassisches von Lärm unterbrochen wird, und man denkt „Ja, stimmt so“. Oder, um einen Stücktitel zu zitieren: „Jetzt merk ich’s auch“.

Es gibt massig viel zu entdecken auf „Wild“, dem Debütalbum von Phalanx. Wie bei „Hansa“ eine Ohrwurmklavierlinie am Anfang und am Ende alles auf den Punkt bringt, aber eben nur kurz angetippt, wo andere aus so einer Melodie ein ganzes Stück bauen würden. Und zwischendurch die Instrumente einander in einer sanften Improvisation umkreisen. Wie in „Köln“ die Metal-Gitarre kreischt und das Klavier mit seinen Mitteln dagegenhält, eine glasklare Tonalität behauptet und die Richtung vorgibt, während Axel Zajac Klangsplitter und -blitze fabriziert. Oder wie im vierteiligen „Mexiko“ alles in einem kleinteiligen Jam fragmentiert, um am Ende in einer besonders schönen Passage aufzugehen.

Die Verbindungen, die in der Musik von Phalanx eingegangen werden, sind in dieser Form tatsächlich neu und nur möglich, weil hier vier Musiker aus ganz unterschiedlichen Projekten und Traditionen zusammenkommen. Mathieu Bech spielt improvisierte Musik mit dem Ausbruch Duo, und – ebenfalls mit Johannes Pfingsten am Schlagzeug – dem Trio Flonks, aber auch Folkrock mit dem Sem Seiffert Trio und Reggae mit Animo Sono. Außerdem ist Bech Schlagzeuger, was sich auch auf das Klavier auswirkt, das hier oft als Rhythmusinstrument behandelt wird.

Axel Zajac spielt Gitarre bei der Metal-Freejazz-Band Malstrom und hat das Prinzip der Noise-Infusion in diesem Rahmen perfektioniert. Der Bassist Michael Haupt bildet so etwas wie einen Gegenpol, mit dem eher sonnig temperierten Jazztrio Joern And The Michaels. Und Schlagzeuger Johannes Pfingsten ist in zahllosen Projekten unterwegs, unter anderem mit dem Drum’n’Bass-Duo Wallfacer.

Alles das fließt im Sound von Phalanx ineinander und ergibt auf dem Debütalbum „Wild“ etwas Neues, bis jetzt nicht Gehörtes: ein vor Melodien überfließender Jazz, der der Intensität von Rock und freier Improvisation in sich aufgenommen hat.

Berthold Records/ BR323109 / LC 27984 / 4250647323109 / Vertrieb: Cargo

VÖ: 8.9.2023

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